Marokkanische Minze


Cem Udur hätte den Tee Laden niemals freiwillig betreten.
Er trank schon seit Jahren keinen Tee mehr.

 

Ein heftiges Gewitter zwang ihn jetzt dazu, Schutz in dem kleinen Laden zu suchen. Die Besitzerin, eine zierliche, ältere Dame, die ihre langen grauen Haare, mit einem bunten Tuch, zu einem losen Zopf zusammengebunden hatte, schaute ihn interessiert an.
Sie kannte den auffallend großen, breitschultrigen Südländer. Er ging fast täglich an ihrem Geschäft vorbei, kam aber nie herein.
Cem blieb an der Tür stehen und starrte in den Regen.
Er wollte so schnell wie möglich wieder gehen. Die Düfte die ihm hier entgegen wehten, riefen böse Geister aus seiner Vergangenheit wach.
Er hatte seit damals keine einzige Tasse Tee mehr getrunken. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich auf seinem Rücken aus. Cem wollte weg, aber Blitz und Donner zwangen ihn zu bleiben.

 

Nach einigen Minuten neben der Tür, in denen das Gewitter eher noch zunahm, sah er sich in dem kleinen Laden um.
Es gab eine Verkaufstheke, vor einer Wand voll großer, bunter Dosen und bedruckter hölzerner Teekisten, Regale mit Kannen, Tassen, kleinen Metalldosen und allerlei Dekorationen.
In einem angeschlossenen Wintergarten, den man von der Straße aus nicht sehen konnte, standen vier kleine Tische mit Stühlen. Fast alle Plätzte waren besetzt. Die Atmosphäre war entspannt und gemütlich. Ruhige, Instrumentalmusik drang aus unsichtbaren Lautsprechern. Der Regen plätscherte über die Glasscheiben.
Cem ließ seine Blicke schweifen. Er war ein aufmerksamer Beobachter, dem nur selten ein Detail entging. Das musste er bei seiner Arbeit am Flughafen auch sein. Er erkannte das Muster des Kleides, der alten Dame. Es war aus Indien aber schon ein wenig abgetragen. Das Geschirr auf den Tischen, war bunt gemischt, wie das Publikum. Teures und billiges Porzellan, Metallkannen aus Blech und Silber, große und kleine Tassen, Tässchen und Gläser. Es gab braunen und weißen Zucker, Sahne, Zitrone, Kandis oder Honig. Offensichtlich wurde hier viel Wert darauf gelegt, dass jeder Tee originalgetreu getrunken werden konnte.

 

Cem war mit Tee jeder Art und Sorte aufgewachsen. Es war der Geruch seiner Kindheit und Jugend, der ihn hier umwehte und hätte sein Vater, die Schachtel damals nicht aufgemacht, hätte dieser Teeladen in der Altstadt von Freising ein wunderschöner, heimeliger Ort sein können. So aber war es ein Stachel in der tiefen Wunde in seinem Herzen, die nicht heilen wollte.

 

Cem wollte keinen Tee kaufen.
Er fing den Blick des Mannes auf, der allein am hintersten Tischchen saß. Blonde kurze Haare, blaue Augen, gebräunte Haut, möglicherweise ein wenig jünger als er selbst. Der Mann ließ seine Zeitung sinken und deutete ein Nicken und ein Lächeln an. Cem nahm sich zusammen. Darin war er meisterhaft.
„Ist hier noch frei?“
„Sicher, bitte.“
„Vielen Dank.“
Der Blonde schob seine Zeitung und seine Tasse ein wenig zur Seite, um Cem Platz zu machen. Der setzte sich und warf einen kurzen Blick auf sein Gegenüber. Ein sympathisches, männliches Gesicht, scharf geschnittenes Kinn, schöne Nase, schneeweiße Zähne. Der Blonde bemühte sich freundlich um ein Gespräch:
„Ich komme oft hierher. Ist gemütlich um nach der Arbeit eine Pause zu machen. Früher habe ich nur Ostfriesentee getrunken, aber jetzt probiere ich immer mal was Neues. Frau Huber hat alles was man sich vorstellen kann.“ „Mhm.“
Cem wollte sich nicht unterhalten. Er wollte auch keinen Tee trinken. Er starrte angespannt auf die Speisekarte in seiner Hand, ohne sie zu lesen. Frau Huber kam mit einem kleinen Tablett und räumte das leere Geschirr seines Tischnachbarn ab. Dann kam sie zurück und fragte mit einer sympathischen, warmen Stimme:
„Was darf ich ihnen bringen?“
Nichts!!!!
hätte Cem am liebsten geschrien aber er war sehr höflich und sehr kontrolliert und fragte:
„Haben sie marokkanische Minze?“
„Selbstverständlich.“
„Dann nehme ich ein Glas, bitte.“
 „Gern.“
Sie verschwand und Cem schaute aus dem großen Fenster des Wintergartens, ohne den geschmackvoll bepflanzten Innenhof und die blühenden Oleander in den weißen Holzkübeln wirklich wahrzunehmen, obwohl die Szene selbst jetzt, bei strömendem Regen, Schönheit und Stil ausstrahlte. Er spürte auch nicht, wie intensiv sein Gegenüber ihn beobachtete. Sah nicht die Blicke, die ihn von oben bis unten taxierten.

 

Seine Gedanken gingen auf eine unangenehme Reise in die Vergangenheit. Eine Vergangenheit, von der er gehofft hatte, sie hinter sich gelassen zu haben. Was eine Illusion war.
Was er wirklich getan hatte, war flüchten, sich selbst belügen und alle seelischen Qualen in eine mentale Kiste stopfen und den Deckel zuzunageln um irgendwie weiter leben zu können. Es funktionierte, manchmal monatelang ganz gut. Aber dann kamen die Träume zurück oder die Schuldgefühle. Immer unerwünscht und unerwartet. So wie heute.

 

Cem war Deutscher, auch wenn seine Eltern türkischer Herkunft waren. Sie besaßen eine Teehandlung in Essen. Cem war der Älteste von drei Geschwistern, einer Schwester und zwei Brüdern. Seine Familie war muslimischen Glaubens, ohne ihn jedoch explizit zu praktizieren. Die Mutter war die Einzige, die manchmal die Moschee besuchte. Der Vater war sehr stolz auf Cem gewesen, als er das Abiturzeugnis überreicht bekam und auch als seine Ausbildung beim Zoll erfolgreich abgeschlossen war. Sicherlich wünschten sich die Eltern eine Nachfolge für den Laden, aber sie freuten sich trotzdem mit Cem und zeigten offen Ihren Stolz auf den ältesten Sohn.

 

Dann kam der unselige Tag, an dem er nach Düsseldorf in ein kleines Appartement umziehen wollte, um in der Nähe seiner Arbeit am Flughafen sein zu können.
Aber auch um sich der Kontrolle des Familienverbandes ein wenig zu entziehen. Er war der Erste, der die Familie verließ und seine Mutter sah es nicht gern.
Sie hatte die ganze Großfamilie mit Tanten, Onkeln, Nichten und Neffen zu einem großen Abschiedsessen eingeladen. Cem hatte sie ausgelacht und gesagt, dass er doch nur nach Düsseldorf umziehen würde, nicht nach Australien!
Am Abend desselben Tages hat er sich nichts sehnlicher gewünscht als das!

 

Er erwachte im Krankenhaus. Ein Beatmungsschlauch steckte in seiner Luftröhre und sein Körper war ein einziger Schmerz. Er erinnerte sich nicht genau daran, wie er in das Krankenbett gekommen war, aber er erinnerte sich an das Gesicht seines Vaters, als er ihm beim Umzug, mit der Pappschachtel entgegen kam, in der Cem einige Filme mit eindeutigem Inhalt verpackt hatte. Warum nur, hatte der Vater hinein gesehen? Warum nur hatte er selbst sie nicht zugeklebt?! Schlimm genug, wenn es Pornos mit Mädchen gewesen wären, aber da waren keine Mädchen!

 

Cem hatte sich nie für Frauen interessiert und den Eltern war es recht gewesen, dass er sich auf Schule und Ausbildung konzentriert hatte.
Jahrelang war er in seinen Klassenkameraden Florian verliebt gewesen, aber niemand aus seiner Familie oder von seinen Freunden wusste dass er Männer mochte.
Männer wie Florian. Schlank, blond, mit heller, weicher Haut…
Er hätte viel dafür gegeben, diese Haut nur einmal, überall, zärtlich berühren zu dürfen, aber er wusste genau dass er mit dieser Neigung in seiner Familie keinen Platz hatte. Nicht in seiner Familie und auch sonst nirgendwo!

 

Dass ihn der Vater allerdings krankenhausreif prügeln würde, damit hatte er nicht gerechnet. Obwohl Cem viel größer und kräftiger war, ließ er den geballten Vaterzorn über sich hinweg rollen wie eine Lawine und war unfähig sich zur Wehr zu setzen. Die Narben, die die volle Kanne heißen Tees auf seinem Rücken hinterlassen hatte, spürte er immer noch manchmal. Sein Vater schlug, wie ein rasender Derwisch, mit allem was ihm in die Hände kam, auf Cem ein. Die Mutter schrie erschreckt und voller Angst und begriff zunächst überhaupt nicht was geschah. Der Vater schimpfte und tobte, völlig außer sich! In seinem ganzen, bisherigen Leben hatte Cem seinen Vater niemals, derartig schreckliche Flüche und Verwünschungen ausstoßen hören, wie in diesen Momenten der Raserei, gegen den eigenen, so offensichtlich, schwulen Sohn!

 

Die Nachbarn, hatten schließlich die Polizei und auch den Krankenwagen gerufen.

 

Trotz allem, war es schwer für Cem gewesen, wegzuziehen.
Die Familie und sein Freundeskreis waren immer sein wichtigster Dreh und Angelpunkt, aber der Arbeitsplatz im Münchener Flughafen war attraktiv und Cem gehörte zu einem großen, bunt gemischten Team aus Männern und Frauen unterschiedlichster Herkunft. Es war seine Chance, neu anzufangen und er nutzte sie.

 

Cem sprach außer Deutsch und Türkisch auch fließend Englisch und Französisch. Weil Florian in der Zehnten auch Französisch gewählt hatte und Cem ihm so nah wie möglich sein wollte. Florian war inzwischen verheiratet und Vater einer kleinen Tochter und Cem war in seinem Team angesehen und beliebt und hatte sich in den letzten Jahren das Image aufgebaut, das ihm selbst am attraktivsten erschien: Der gebildete, gutaussehende, sportliche Junggeselle, mit exklusiv ausgestattetem fünfer BMW und dem Luxus einer Zugehfrau.
Er kleidete sich sorgfältig und hatte sein Appartement geschmackvoll eingerichtet. Was hieß, das Sofa war breit und gemütlich und die elektrischen Geräte auf dem neuesten Stand der Technik. Sein Gehalt beim Zoll ermöglichte ihm ein sorgenfreies Leben. Freising hat eine gute Atmosphäre und Cem mochte es, dass die Großstadt München in der Nähe war, er aber nicht dort wohnen musste.

 

Es waren inzwischen fast fünf Jahre. Er war neunundzwanzig und noch immer nicht in der Lage, offen zu sich zu stehen. In der Theorie, wusste er alles was es über schwule Liebe zu wissen gibt, aber von einigen Darkroom Erlebnissen in Köln, vor seinem unfreiwilligen Coming-Out, einmal abgesehen, hatte er wenig Erfahrung. Ein einziges Mal war er in einen Club nach München gefahren, aber die extrovertierten, exotisch aufgerüschten Tucken die dort tanzten, hatten ihm regelrecht Angst eingejagt.
SO wollte ER auf keinen Fall sein!
Cem Udur war ein Mann von Kopf bis Fuß. Aber er hatte keinen Sex. Jedenfalls nicht mit einem anderen Menschen.
Es gab Frauen, die Interesse zeigten, aber das reizte ihn nicht. Ihn erregten schlanke Männer…
Er unterdrückte diese Bedürfnisse so gut es ging.
Arbeitete hart, schwitzte und quälte sich im Fitness Studio um seinen Körper in Form zu halten und wenigstens manchmal, beim Duschen einen Seitenblick auf einen schönen, nackten, männlichen Körper werfen zu können. Wenn er die Sehnsucht nach körperlicher Zuwendung gar nicht mehr unterdrücken konnte, fuhr er in ein Hammam in München. Dort musste er für das ‘Happy-End‘ nach der Massage zwar auch selbst sorgen, bekam aber wenigstens eine Stunde lang intensive Streicheleinheiten von gut gebauten, nahezu nackten Männern.
Der Wermutstropfen bei diesen Besuchen, war die Erinnerung an wunderbare Nachmittage im Bad, zusammen mit seinem Vater und seinen Brüdern.

 

Die Frauen, mit denen er arbeitete, wollten ihn zwar ganz gern ab und zu verkuppeln aber er ließ niemanden von der Arbeit wirklich in sein Privatleben schauen.
Die männlichen Kollegen hielten ihn für einen Macho und Cem gefiel das schon irgendwie. Es passte gut in sein selbstgewähltes Image.

 

Er hatte ein paar intime Online-Kontakte, aber die Männer lebten in den USA und in Kanada. Im Netz und anonym konnte er der sein, der er war.
Hier in seiner realen Welt kannte niemand seine Vergangenheit, oder wusste etwas von seiner Familie. Von den Vorfällen, die ihn nach Bayern verschlagen hatten, schon gar nicht.
Die physischen Verletzungen waren damals, nach ein paar Wochen verheilt und die seelischen waren nicht beachtet worden. Seine Familie hatte jeden Kontakt abgebrochen und Cem war viel zu stolz, um sich woanders Hilfe zu suchen. Er hatte schon immer einen starken Willen und den Drang es allein zu schaffen. Die Träume von einer Zukunft mit einem Partner waren schön, aber er hatte die Hoffnung darauf schon fast aufgegeben.

 

Nicht, dass es nicht auch mal interessierte Blicke von Männern gegeben hätte. Die gab es, insbesondere bei seiner Arbeit am Flughafen schon gelegentlich. Cem war groß und sah gut aus. Schwarze, kurze Haare, dunkelbraune Augen, durchtrainierter eher kräftiger Körper.
Er wurde gesehen. Nur war Cem sich nie ganz sicher, ob wirklich er gemeint war und noch weniger hatte er den Mut sich auch nur auf einen kleinen Flirt einzulassen.
Der Türke in ihm konnte die eigene Sexualität nur schwer akzeptieren. Das Bild, das andere von ihm hatten, war ihm zu wichtig. Die Angst in die ‘schwule‘ Ecke gestellt zu werden, zu groß.
Aber manchmal überfiel ihn die Sehnsucht so grausam, dass er große Mühe hatte die Fassade aufrecht zu halten.

 

Frau Huber stellte ein kleines, rundes, silbernes Tablett auf den Tisch und goss mit der typischen Handbewegung, die ein wenig Schaum auf den Tee zaubert, das bunte Glas voll. Das Aroma der marokkanischen Minze entfaltete sich schnell, wie ein Geist, der aus einer Flasche entweicht. Ein mächtiger Geist, der fünf Jahre lang eingesperrt war und der sich nun nicht mehr zurück schicken ließ!
Dieser intensive, vertraute Duft war von Geburt an in seinem Gehirn gespeichert und untrennbar mit starken Gefühlen verbunden.

 

Cem starrte mit schmerzerfülltem Blick in den Tee und atmete tief ein. Ein winziger, kleiner Laut entkam ihm und seine Hand zitterte leicht, als er sich den Zucker nehmen wollte.
Da griff eine feste warme Hand nach seiner, ein rauer Männerdaumen strich kurz über seine Innenhand und schickte einen heftigen, elektrischen Impuls durch Cems Körper. Sein Kopf ruckte erschreckt hoch. Er hatte den Mann der ihm gegenübersaß total vergessen!
Er wollte seine Hand wegziehen, konnte es aber nicht. Der Blick aus den tiefen, blauen Augen hielt ihn fest. Der Blonde ließ seine Hand los. Seine Stimme war tief und er fragte leise:
„Willst du mir nicht erzählen, was dir solche Schmerzen bereitet?“
„Wie kommst du darauf, dass ich Schmerzen habe?“
Die blauen Augen tauchten noch tiefer in seine:
„Ich fühle es.“ Er flüsterte fast.
Cem wollte empört aufspringen und weglaufen, so wie er immer weggelaufen war. Dieses Mal nicht. Sie schwiegen beide. Keiner wich dem Blick des anderen aus.
„Wie heißt du?“
Cems Stimme war rau und klang aggressiver als eigentlich beabsichtigt. Normalerweise duzte er Fremde auch nicht unaufgefordert. Die Antwort kam erstaunlich ruhig und selbstbewusst.
 „Matthias, Matthias Hartmann und du?“
„Cem Udur.“
„Ich bin Gärtner, im Staudengarten der Uni.“
„Ich arbeite am Flughafen.“
Cem bemühte sich ein wenig freundlicher zu klingen. Er war verwirrt über die Gefühle, die Matthias in ihm auslöste und starrte in die grüne, aromatische Flüssigkeit, in dem hübsch verzierten Teeglas vor ihm.

 

Der Tee schmeckte so unerwartet gut, so süß, so sehr nach Ferien bei den Großeltern, nach allem was einmal schön gewesen war in seinem Leben, nach Geborgenheit, Liebe und Zärtlichkeit, nach all dem, was ihm jetzt so sehr fehlte, dass er hart daran schlucken musste. Er schaute nach unten. Matthias sah ihn an, sagte aber nichts.

 

Dieser Fremde hatte ein Geheimnis, das keines war, wenn man das gleiche hatte, wenn man den Ausdruck in den Augen, jeden Morgen selbst im Spiegel sah. Auch Matthias hatte seine Gründe, als er von der Nordsee weggezogen war. Der entscheidende war, eine verlassene Ehefrau, die ihm bis heute nicht verzeihen konnte, dass er sie geheiratet hatte, obwohl er wusste, dass er sie nicht so begehrte, wie jede Frau es von einem Ehemann erwartet.

 

Der Regen hatte aufgehört. Matthias legte das Geld für seinen Tee auf den Tisch. Er stand auf und schenkte Cem ein offenes, wunderschönes Lächeln:
„Schön, dich kennengelernt zu haben, Cem.“
Dann ging er und Cem starrte dem schlanken, blonden Mann mit den tiefen blauen Augen hinterher.

 

Der Tee aus marokkanischer Minze entfaltete seine magische, entspannende Wirkung, so wie er es immer getan hatte.
Cem hatte es nur verdrängt. Er hatte das Glas noch nicht ganz leer getrunken als sich der Knoten in seinem Bauch löste und er wieder tief und ruhig atmen konnte. Als er den kleinen Teeladen verließ, kam die Sonne zwischen den schwarzen Wolken hervor und ein breiter Regenbogen spannte sich im Osten über den Himmel. Der Geschmack in seinem Mund, die Sonnenstrahlen, der Regenbogen, ein tiefer Blick aus blauen Augen, die seltsam intensive, kurze Berührung von Matthias, das alles zusammen erzeugte ein angenehmes Kribbeln in Cems Bauch und schickte seine Gedanken auf eine abenteuerliche Reise.

 

Der Staudensichtungsgarten, der Universität Weihenstephan in Freising, ist kein Ort an dem Menschen joggen.
Dort wird geschlendert und notiert, studiert, betrachtet und fotografiert.
Der große Mann in grauen Jogginghosen und schwarzem Pulli, erregte deshalb nicht wenig Aufsehen. Einige Tage, nach seinem unfreiwilligen Besuch im Tee- laden, ertappte Cem sich zum ersten Mal dabei, die Joggingrunde durch den Staudengarten erweitert zu haben. Er traf nicht auf Matthias. Auch dann nicht, als er seine Adresse im Telefonbuch suchte und zwei, dreimal an seinem Haus vorbei fuhr.

 

Cem hatte nicht genug Mut ihn einfach anzurufen. Vielleicht war es gar nicht so? Vielleicht hatte er sich nur eingebildet, dass Matthias auch Männer mochte? Aber dieser tiefe Blick hatte so viel versprochen. Und warum hatte er sonst gesagt wie er heißt und wo er arbeitet, wenn nicht um gefunden zu werden?!

 

Zwei Wochen, etliche Joggingrunden und Umwege an einem bestimmten Haus vorbei, später, war es schließlich Matthias, der bei Cem anrief. Es war Samstagvormittag. Das Wochenende würde warm und sonnig werden und Cem hatte bis zum Montagabend frei. Das Telefon störte ihn beim Frühstück. „Udur.“
„Hallo Cem. Hier ist Matthias.“
„Oh! Hallo.“
Cems Herz rutschte ihm in die Hose. Matthias schien es zu spüren und fragte vorsichtig:
„Hast du heute schon was vor?“ 

 

 

Ausschnitt aus 'Marokkanische Minze' aus der Sammlung 'Made in BAVARIA'  

 

 

 

 


Leseprobe aus 'Stille Nacht einsame Nacht'

Stille Nacht einsame Nacht

 

Lukas erlebt einen bösen Absturz und findet sich verlassen, ohne Arbeit und fast auch ohne Wohnung wieder. Ein Freund hilft ihm aus der größten Not, aber das allein wird nicht reichen, sein Leben zurückzubekommen. Lukas muss mutig sein, seine Heimatstadt verlassen und einen ganz anderen Weg einschlagen.

Ein Mann mit einer besonderen Stimme, wird nicht nur sein Arbeitskollege, sondern beschert ihm auch einen unvergesslichen Weihnachtsabend!

 

 

 

E-Book only! Dem Klima zuliebe! Für dieses Buch musste kein Baum fallen!

 

„Ein tiefer Fall. Ein harter Aufschlag. Ein Neustart, der zum Kaltstart wird. Lukas gehört plötzlich nicht mehr dazu. Sein Leben in einer Welt voller Glamour, Shows und Events ist abrupt beendet. Ganz unten bist du allein. Und die Nächte sind besonders dunkel.“

 

 

 

Diese Weihnachtsgeschichte startet wenig weihnachtlich, aber wie das so ist: Wunder geschehen, gerade und besonders zur Weihnachtszeit. Da trifft man unverhofft einen ‚Engel‘, fremde Menschen öffnen großzügig ihre Herzen und selbst kann man zum ‚Helden’ für einen ganz besonderen Menschen werden, der viel mehr ist, als nur ein Kollege…

 

Wer die ‚Weihnachtstrucker‘ kennt, wird ein paar alte Bekannte treffen, jedoch ist diese Geschichte in sich selbst abgeschlossen.  


 

 

 

 

1.

 

 

Lukas hatte nur noch einen Namen in seinem Adressbuch. Eine Person, die er noch nicht angerufen und um Hilfe gebeten hatte. Ein einziger war übrig, von fünfundzwanzig oder dreißig Menschen, die er vor ein paar Wochen noch zu seinen Freunden gezählt hatte! 
Florian war nicht einmal sein Freund, nur ein Bekannter. Sie hatten ein paar Monate lang zusammengearbeitet und auch das war schon mindestens ein Jahr her. Eher noch länger. Aber Lukas erinnerte sich an den lockeren und offenen Florian als eine hilfsbereite Person. Es war aber auch möglich, dass seine verzweifelte Lage seine Erinnerungen beeinflusste. Jedenfalls hatten sie damals ihre Daten ausgetauscht und Lukas würde ihn anrufen und um Hilfe bitten, wie schon alle anderen davor. Es wurde von Telefonat zu Telefonat immer schwerer für Lukas. Es waren verzweifelte Versuche, wieder festen Boden unter die Füsse zu bekommen, oder besser gesagt, ein Dach über den Kopf. Auch wenn manche seiner Bekannten durchaus gute Gründe anführen konnten, warum sie Lukas gerade jetzt, sonst ja immer gern, aber gerade jetzt leider nicht, helfen wollten oder konnten, wusste er sich bald keinen Rat mehr. Eine Woche, eine lausige Woche war übrig, dann würde er unter einer Brücke schlafen müssen, oder im Obdachlosenasyl. Nichts war ihm geblieben, nichts außer einem einzigen Koffer mit Kleidung, seinem Mobiltelefon und seinem Laptop. Und das auch nur deshalb, weil er die Sachen im Krankenhaus bei sich hatte. Alles andere, was sich in der Wohnung befunden hatte, hatte Richard mitgenommen. Alles! Lukas zitterte immer noch, wenn er an den Moment dachte, als er zum ersten Mal nach vielen Wochen wieder nach Hause gekommen war und die Wohnung komplett leer vorgefunden hatte. Einzig der Briefkasten war übervoll gewesen. Voller Rechnungen und der Kündigung seines Arbeitgebers, wegen seiner langen Krankheit. Natürlich hatten sie etwas anderes geschrieben, aber Lukas wusste, dass sein endloser Krankenhausaufenthalt nach dem Unfall der Grund war. Er selbst nannte es Unfall, um irgendwie damit klarzukommen. Es war kein Unfall.

 

Lukas konnte immer noch nicht wirklich rekapitulieren, was genau geschehen war. Teilweise waren die Erinnerungen an die schreckliche Nacht nicht zurückgekommen und zum anderen versuchte Lukas alles zu vermeiden, was die restlichen Erinnerungen an das Grauen dieser Nacht wieder in sein Bewusstsein zurückholen könnte. Das gelang ihm an manchen Tagen besser als an anderen, aber in den Nächten gab es niemals ein Entkommen. Die Albträume veränderten sich mit der Zeit, aber sie hörten nicht auf. Die Ärzte nannten es ‚Posttraumatische Belastungsstörung‘. Lukas nannte es ‚Schwarzes Loch‘.

 

Die Sanitäter hatten seinen schwer verletzten, unterkühlten, nackten, bewusstlosen, besudelten Körper am unteren Ende einer Treppe gefunden, die zu einer öffentlichen Toilette führte. Es war am frühen Morgen eines kühlen Frühlingstages gewesen. Lukas hatte sein Leben einer albanischen Putzfrau zu verdanken. Sie wollte die Toiletten sauber machen, hatte ihn dort gefunden und sofort aufgeregt den Notarzt alarmiert. Es dauerte einige Tage, bis Lukas das Bewusstsein wiedererlangt hatte und noch einmal so lange, bis er wieder wusste, wer er war. Er musste wurde mehrmals und verbrachte viele schmerzvolle Wochen im Krankenhaus.

 

Am Tag konnte Lukas einigermaßen verdrängen was geschehen war. Das Leben musste irgendwie weitergehen.
Jetzt im November wurde es von Stunde zu Stunde dringender, irgendwie eine neue Bleibe zu finden. Ein Zimmer zur Untermiete, eine über den Winter leere Ferienwohnung, ein verlassenes Kinderzimmer, ganz egal was, Hauptsache er musste nicht auf die Straße wie immer mehr Münchener, seit die Mietpreise in astronomische Höhen kletterten. Die Behörden waren keine Hilfe. Das Arbeitsamt versuchte ihn zu vermitteln, bislang aber ohne Erfolg. Lukas wollte unbedingt so schnell wie möglich wieder arbeiten, aber er war immer noch nicht wieder ganz gesund und er hatte kein Auto mehr. Das begrenzte und erschwerte die Arbeitssuche erheblich.

Die Psychologin bei der er für ein paar Sitzungen war, um das Trauma aufzuarbeiten, hätte es gern gesehen, wenn er in eine längere stationäre Maßnahme zur Behandlung seiner psychischen Verletzungen eingewilligt hätte, aber Lukas konnte sich selbst nicht dazu bringen, die Ereignisse vor und nach dem Krankenhaus aufzuarbeiten. Er schob alles so weit weg wie möglich und versuchte einen Neustart. Was zugegebenermaßen viel schwerer war als erhofft. Es hatte Wochen gedauert, Richard wenigstens den Ordner mit seinen Dokumenten abzuringen. Immerhin hatte er sich nicht die Mühe gemacht, die Sachen wegzuwerfen. Richard, der schöne, erfolgreiche, kluge und charmante Mann, der Lukas lange glauben ließ, der Eine ganz besondere Mensch zu sein, war auch oberflächlich, feige und hinterhältig und hatte Lukas in den Wochen der allergrößten Not einfach fallengelassen. Ein paar Tage lang hatte er noch regelmäßig am Krankenbett gesessen, dann musste er plötzlich viel arbeiten und dann war er noch nicht einmal mehr telefonisch zu erreichen. Als Lukas irgendwann ein eindeutiges Foto im Internet sah, wusste er, dass es aus mit ihnen war. Das allein, zusätzlich zu den schweren Verletzungen, wäre schlimm genug gewesen, aber die gemeinsame Wohnung vollkommen leer vorzufinden, hatte Lukas für Tage den Boden unter den Füßen weggezogen.
Zu zweit konnten sie sich diese Wohnung leisten, aber allein war das in dieser feinen Gegend, in dieser Stadt unmöglich. Lukas konnte die Miete nicht bezahlen und hatte nach einer Mahnung sehr schnell ein Kündigungsschreiben bekommen. Angeblich wegen Eigenbedarfs. Er hatte auf allen bekannten Wegen versucht, eine neue Bleibe zu finden, war aber bisher auf ganzer Linie gescheitert. Nun telefonierte er seit Tagen mit allen Freunden und Bekannten, um übergangsweise irgendwo unterzuschlüpfen. Doch niemand konnte oder wollte ihm helfen. Verwandte, die sich möglicherweise moralisch verpflichtet fühlen würden, hatte er nicht. Es blieb nur das Adressbuch im Handy mit allen, die er irgendwann einmal ‚Freunde‘ genannt hatte. Florian Hochreiter war der allerletzte auf der Liste. Lukas fühlte sich schrecklich bei diesen ‚Bettelanrufen‘ aber er hatte keine Wahl. Also versuchte er Florian heute zum dritten Mal zu erreichen. Dieses Mal meldete er sich: „Hochreiter.“ „Hallo Flori, hier ist Lukas.“ Seine Stimme klang schrecklich verkrampft, obwohl er versuchte, so ruhig und locker wie möglich zu bleiben. „Lukas Hader. Wir waren bei Angermeier in einem Büro zusammen, erinnerst du dich?“ Florian schien sich zu freuen von Lukas zu hören. „Na klar, erinnere ich mich! Wie geht es dir, Lukas?“ Lukas atmete erleichtert aus. Er war froh, dass sich Florian an ihn erinnerte. „Hast du einen Moment Zeit? Ich hätte eine Frage an dich.“ Im Hintergrund kündigte die Ansage auf einem Bahnsteig die Einfahrt eines Zuges an. „Es wäre wirklich sehr wichtig für mich.“ Florian machte es kurz: „Du Lukas, ich freu mich echt von dir zu hören. Ich bin am Bahnhof, auf dem Weg nach München zu meinen Eltern. Können wir später nochmal telefonieren? Mein Zug fährt gerade ein.“ Verzweiflung machte sich in Lukas breit, aber selbstverständlich willigte er ein, obwohl er fast sicher war, dass auch sein letzter Versuch, Hilfe zu finden, scheitern würde. „Ist gut, dann melde ich mich später nochmal.“    

 

 

 

Lukas hatte nicht erwartet, dass Florian ihn zurückrufen würde. Er zuckte erschrocken zusammen, als zehn Minuten, nachdem er aufgelegt hatte, das Handy in seiner Hosentasche vibrierte. „Hallo?“ „Hey, ich bin es nochmal, Flori. Tut mir leid Lukas, dass ich dich gerade so kurz abgefertigt habe, aber ich musste meinen Koffer in den Zug wuchten. Ich bin auf dem Weg nach München. Meine Mutter hat Geburtstag. Ich bleibe für ein paar Tage. Wir können uns also gerne treffen.“ Lukas antwortete erleichtert: „Das wäre super! Lebst du denn gar nicht mehr in München?“ Florians Stimme klang bedauernd, als er antwortete: „Leider nein. Ich würde gern wieder umziehen, aber der Job in Dresden ist zu gut, um ihn einfach hinzuschmeißen. Wann wollen wir uns treffen? Morgen feiert meine Mama Geburtstag und ich bin den ganzen Tag verplant. Passt es dir übermorgen, am Nachmittag, vielleicht?“ Lukas freute sich sehr und sie verabredeten sich im Café Rosa an der Uni, fünfzehn Uhr. Lukas hatte vergessen wie positiv und wie geradeheraus Florian war. Obwohl sie nur zwei Sätze gewechselt hatten, fühlte er sich schon ein bisschen besser und er freute sich auf ihr Treffen. Natürlich gab es, objektiv betrachtet überhaupt keinen Grund für seine Vorfreude. Schließlich hatten sie sich lange nicht gesehen und es war sicherlich mehr als unwahrscheinlich, dass Florian ihm helfen konnte oder wollte, aber trotzdem. Lukas freute sich auf sein Treffen mit Florian.

Florian kam pünktlich zu ihrem Treffen und Lukas erkannte ihn sofort. Florian hatte sich kein bisschen verändert, seit sie damals zusammen im gleichen Büro gearbeitet hatten. Lukas selbst hatte sich seitdem allerdings sehr verändert und Florian hatte sichtlich Mühe, sein Entsetzen so gut es ging zu verbergen. „Lange nicht gesehen! Wie geht es dir, Lukas?“ Florian setzte sich und bemühte sich um Lockerheit. Es war offensichtlich, dass Lukas in echten Schwierigkeiten war. Der Lukas den er einmal gekannt hatte, war ein ausgesprochen hübscher, schlanker, junger Mann gewesen, modisch gekleidet und frisiert, mit einer charmanten, selbstbewussten Ausstrahlung. Der Lukas, der ihm hier im Café gegenübersaß und sich an seiner Teetasse festhielt, war hager und blass, mit strähnigen Haaren und schlechter Haltung. Zwischen den Augen zwei steile Falten und auf der Stirn eine hässliche, rote Narbe, die er nur schlecht verstecken konnte.
Lukas fühlte sich von Florians Blicken abgescannt. Er versuchte es erst gar nicht mit Smalltalk. Er sah ja, wie er auf andere Menschen wirkte, besonders auf Leute, die ihn auch vor all dem schon gekannt hatten. Die schwule Szene in München ist gnadenlos, wie überall. Bist du schwul, stecken sie dich in Schubladen, Twink, Otter, Bear, Fatty, Fem, Jock, wie auch immer. Lukas passte zurzeit in keine dieser Kategorien. Er war einfach nur ein Verlierer, ein Opfer. Ganz unten und total am Ende. Niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben, geschweige denn ihm helfen. Bist du stark, schön, jung, hast du Freunde, bist du schwach, bist du allein. Diese Erfahrung zu machen, war unglaublich hart. Und die Hoffnung in andere Menschen nicht ganz zu verlieren, war sehr schwer für ihn. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz.  

 

*Ende der Leseprobe*

 

 

 

 

Leseprobe aus 'Alaska'

Ein Traum ist wahr geworden. Alexej ist in Alaska angekommen. Er ist überglücklich der Unterdrückung in Rußland entkommen zu sein und stürzt sich voller Abenteuerlust in sein neues Leben. Nur leider gibt es ein ganz entscheidendes Hinderniss, dass Alexej und Greg daran hindert wirklich glücklich zu sein. Immer wieder trennt sie, Greg Arbeit an der Alaska Pipeline. Alexej ist einsam und gezwungen, seinen eigenen Weg zu finden...

 

"Eine schöne lange Leseprobe fürs Wochenende!" 

  September

 

 

 

Greg war nun schon den zweiten Monat am Stück an der Alaska-Pipeline unterwegs. Zwischendurch war er ein einziges Mal für drei Tage in Valdez gewesen. Das war alles. Er fehlte Alex. Beide hassten es, ohne den Anderen zu sein, aber Greg liebte auch seine Arbeit und Alex konnte ihn nicht begleiten. Sein Kollege Peter Price hatte sich bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt und konnte für zwei Monate gar nicht und für weitere zwei nur im Büro arbeiten. Greg hatte es nie etwas ausgemacht, an der Pipeline für etliche Wochen, mit den Männern zusammen zu arbeiten und zu leben, aber jetzt wartete Alex zu Hause auf ihn und zum ersten Mal konnte er verstehen, wie sehr seine verheirateten Kollegen ihre Frauen und Familien vermissten.

 

Alex beklagte sich nie, aber Greg spürte, dass er unter der Situation litt. Alex sprach nicht darüber, dass er sich oft einsam fühlte und seine Freunde und Kollegen aus Irkutsk vermisste. Nicht alle natürlich, aber manche fehlten ihm sehr. Sein Jugendfreund Sascha und dessen Bruder Anatol. Das Fitnesstudio in dem er einen großen Teil seiner Freizeit verbracht hatte, und einige seiner Kollegen bei der Polizei. Er war nicht daran gewöhnt, ganz allein in einem Haus zu sein, und obwohl er ihr Zuhause sehr liebte und den Komfort und den Luxus genoss, fehlte ihm manchmal die Geborgenheit, die Zugehörigkeit, die es in der Kommunalka, der Gemeinschaftswohnanlage, gegeben hatte, in der er sein ganzes Leben lang gewohnt hatte. Nur während seiner Militärzeit lebte er in der Kaserne, aber auch da hatte er natürlich kein Zimmer für sich allein.
Nun war Alexej viel allein. Seine Arbeit auf der kleinen Werft in der Marina von Valdez hatte er auch der Tatsache zu verdanken, dass er sich ganz gut mit großen Dieselmotoren auskannte. Bei der Roten Armee hatte er gelernt, LKW und Panzer zu reparieren. So groß war der Unterschied zu Schiffsdieseln nicht. Alex lernte von Hank Springfield, wie man die Jachten und Boote der Freizeitkapitäne wartete, die hauptsächlich seine Kunden waren. Die Berufsfischer kauften sich höchstens einmal ein Ersatzteil in der Werft und reparierten ihre Schiffe meistens selbst.
Hank war im ersten Moment nicht begeistert davon gewesen, einen schwulen Russen als Mechaniker einzustellen, aber er schuldete Martin Brooks einen Gefallen und als er Alex kennenlernte und sah, dass kein fragiler Tänzer à la Rudolf Nurejew, sondern ein handfester, breitschultriger Athlet bei ihm arbeiten sollte, gab er Alex eine Chance. Obwohl Alex sich mit Hank ganz gut verstand, träumte er immer noch von einer Karriere als Pilot.
Hank bezahlte ihn gut. Für Alexejs Vorstellungen, die sich immer noch nach den Löhnen in Russland richteten, wurde er sogar sensationell gut bezahlt, aber die Flugstunden waren sehr teuer und die Gebühren und der theoretische Unterricht ebenfalls. Alex investierte in seine Zukunft. Es war nicht unmöglich, sich den Traum vom Fliegen zu erfüllen, aber um dann später einmal davon leben zu können, dazu gehörte viel Talent und das Glück, einen Arbeitgeber zu finden. Alex hatte sich in der Flugschule angemeldet und nahm am theoretischen Unterricht teil. Für die Flugstunden würde er noch länger hart arbeiten müssen oder doch über den Winter einen Truck auf den Eispisten fahren. Da war in einer Saison genug zu verdienen, um etliche Flugstunden bezahlen zu können. Allerdings war es auch eine sehr gefährliche Arbeit im Winter Schwerlasten nach Norden zu transportieren und Greg war nicht begeistert von dieser Idee.
„Ich komme aus Eis und Schnee! Genauso weiß und genauso kalt wie hier. Du brauchst keine Angst zu haben!“
Alex wollte nicht, dass Greg ihn finanziell unterstützte. Er war stolz und stur.
Sie hatten die Diskussion schon mehrmals geführt und waren zu keinem Ergebnis gekommen. Greg verstand seinen Geliebten. Im umgekehrten Fall würde er selbst auch nicht anders fühlen.
Noch war es nicht so weit, aber Hank Springfield hatte im Winter auf der kleinen Werft kaum genug für sich selbst zu tun.
Es war ein grauer und kalter Septembertag. Hank und Alex gingen ausnahmsweise im ‚Harbor Inn‘ zum Mittagessen. Die Saison neigte sich für dieses Jahr langsam dem Ende zu und Hank grübelte schon den ganzen Vormittag darüber, wie er Alex sagen sollte, dass er ihn ab Oktober nicht mehr brauchen würde. Sie aßen schweigend und beim Kaffee fragte Alex schließlich: „Welche Laus ist dir heute über die Leber gelaufen? Du bist so ruhig.“
Hank räusperte sich. Alex ahnte schon, was den älteren Mann beschäftigte und er machte es ihm leicht. „Ich kann es mir schon denken. Nun sprich schon.“
„Wird bald Winter und die Arbeit wird knapp. Bis zum nächsten Ersten kannst du noch bleiben. Nicht dass ich nicht zufrieden mit dir wäre! Hätte nie gedacht, dass wir uns so gut verstehen, aber über den Winter reicht es leider nicht für zwei.“
„Ist schon gut, Hank. Mechaniker ist auch nicht mein Traumjob, aber ich war ganz gern bei dir.“ „Falls es mit dem Fliegen doch nichts wird, kannst du ja im Frühling wiederkommen.“
„Wir werden sehen.“
Es war Freitag. Sie räumten die Werkstatt gründlich auf und machten früh Feierabend. Alex nahm seinen Rucksack und joggte nach Hause. Inzwischen wunderten sich die Nachbarn nicht mehr darüber, dass er nur selten den Landrover benutzte.
Alex wollte fit und in Form bleiben. Weil es aber in Valdez kein auch nur annähernd vergleichbares Studio wie das von Popov in Irkutsk gab, trainierte Alex für sich allein, zu Hause, im Garten oder eben beim Laufen oder Bergsteigen. Allerdings war in letzter Zeit das Wetter oft so schlecht, dass er sich immer öfter danach sehnte, in einer Halle Gewichte zu heben.
Das einzige gut ausgestattete Studio in der Stadt gehörte zum ‚Prince William Sound College‘. Es befand sich auf dem Campus und wurde hauptsächlich von Studenten besucht. Alex hatte nur ein einziges Mal einen Blick riskiert und war dann schnell wieder gegangen. Er fühlte sich zwischen all den jungen, schönen und intelligenten Studenten irgendwie deplatziert, obwohl niemand unfreundlich zu ihm war.

 

Heute klingelte die Nachbarin Anne Baker bei Alex, noch bevor er die Schuhe ausgezogen hatte. „Anne, hallo! Was kann ich für dich tun?“
„Hi, Alex! Ich wollte dich bitten, mir kurz einmal zu helfen. Bob kommt erst nächste Woche zurück und dann kann es für meine Blumen zu spät sein. Es ist jetzt nachts schon so kalt. Ich muss die Töpfe in den Wintergarten stellen. Zwei sind zu groß, die kann ich nicht alleine bewegen.“ „Das haben wir gleich.“
Anne war eine zierliche Frau mit einem starken Willen und viel Enthusiasmus, was ihren wunderschönen Garten betraf. Obwohl die Winter lang und die Sommer oft kühl und nass waren, hatte sie für sich und ihren Mann ein beeindruckend vielseitiges Gartenparadies geschaffen. Die offene Veranda des Hauses war schon vor Jahren verglast worden, um einen sicheren Platz zum Überwintern ihrer vielen Kübelpflanzen zu schaffen. Bob Baker liebte seine Frau und unterstützte ihren Gartenspleen, so gut er konnte.
Anne war sein Augenstern und er sehnte den Tag herbei, an dem auch er sich in den Ruhestand versetzen lassen konnte.
Alex hatte keine Mühe mit den großen Töpfen. Ein weißer und ein roter Oleander, Annes ganzer Stolz, bezogen ihren Platz im Wintergarten.
„Vielen Dank, Alex! Das war sehr lieb von dir! Eigentlich ist es bei uns viel zu kalt für Oleander, aber ich denke, sie haben sich schon daran gewöhnt. Dieses Jahr haben sie wunderbar geblüht.“
Alex nickte. Er hatte diesen Sommer viel von Anne Baker über Gartenpflege gelernt. Greg war an der Alaska Pipeline unterwegs und Alex fühlte sich für das Haus und den Garten verantwortlich. Er lebte gern hier und er tat, was immer er für nötig hielt. Sei es Brennholz für den Kamin und die Sauna zu schlagen, Bäume und Sträucher zu schneiden, Rasen zu mähen oder zu reparieren, was kaputt war.
Greg Burton hatte keinen Bezug zur Gartenarbeit und hatte das Grundstück mehr oder weniger verwildern lassen.
Anne hatte in Alex einen dankbaren Schüler gefunden. Sie mochten sich und halfen sich gegenseitig. Alex half Anne mit seinen kräftigen Armen und Anne gab ihm dafür jede Menge gute Tipps.
„Möchtest du einen Kaffee oder lieber Tee?“
„Ein Tee wäre gut. Wenn es keine Umstände macht?“
„Macht es nie. Komm mit in die Küche.“
Anne ging voran in ihre gemütliche Küche und Alex setzte sich an den langen Eichentisch, an dem selbst zehn Personen bequem Platz hätten. Er hatte schnell gelernt, dass das hierzulande ganz normale Dimensionen waren. Wenn es in Alaska etwas gab, dann war es Platz. Alles war groß! Die Häuser, die Autos, die Fernseher, die Betten, einfach alles.
„Wann kommt Bob zurück?“
„Erst am Dienstag, aber dann bleibt er für eine Zeit lang in Valdez.“
Bob Baker arbeitete im Außendienst und war deshalb oft auf Reisen. Anne mochte ihren Freiraum, aber seit sie selbst im Ruhestand war, fehlte er ihr oft sehr.
„Ich bin froh, wenn er es geschafft hat und auch zu Hause bleiben kann!“
Anne stellte ein Tablett mit Tassen, Zucker und Zitrone auf den Tisch und setzte sich zu Alex. Das Wasser auf dem Herd würde noch einen Moment brauchen, bis es kochte.
Auf dem Tisch lagen einige Werbeprospekte und Zeitschriften und ein auffälliges Blatt Papier, das sich beim zweiten Blick als ein Anmeldeformular vom ‚Valdez Beauty And Muscle Club‘ herausstellte. Alex fragte neugierig: „Hey Anne, bist du unter die Bodybuilder gegangen?“
Anne lachte. „Nicht direkt, aber ich habe mich bei Peggy Duncan für einen Gymnastikkurs angemeldet. Also, das heißt ja heute alles irgendwie anders, aber ich sage Gymnastik. Im Sommer hält mich der Garten auf Trab, aber im Winter muss ich mich selbst ein bisschen zwingen, um aus dem Haus zu gehen. Peggy hat den Club erst kürzlich gekauft. Das Haus stand länger leer, aber sie hat schon fast alles renoviert. Nur der große Raum mit diesen Foltermaschinen ist noch alt.“
Das klang wie Musik in Alexejs Ohren, dem das schlichte Fitnesstudio des Ex-Soldaten Popov fehlte, in dem es nach Männerschweiß, Talkumpuder und Schmierseife gerochen hatte.
„Wo ist diese Peggy Duncan?“
 Am Denali Drive, stadtauswärts. Da war vor dem Tankerunglück mit der ‘Exxon Valdez‘ die Fischfabrik. Ist keine so feine Gegend, aber dafür ist Peggy nicht so teuer wie das Studio im PWSC.“ „Für mich ist das Studio im College auch nicht das richtige. Vielleicht besuche ich Peggy Duncan mal.“ Anne stand auf um den Tee aufzugießen.
„Das machst du und sag ihr Grüße von mir.“
Mit einem Blick auf Alexejs inzwischen fast schulterlangen schwarzen Haare fügte sie an: „Sie schneidet übrigens auch Haare.“
Alex griff sich in seine Mähne und grinste. „Ich weiß. Sieht ganz schön wild aus, aber ich wollte sie einfach mal wachsen lassen. Ich hatte noch nie lange Haare.“
Anne lächelte ihn mütterlich an. „Ist ja auch deine Sache. Möchtest du ein Sandwich?“
„Nein danke. Tee reicht. Ich war mittags mit Hank im ‚Harbor Inn‘ zum Essen.“

 

Um neun Uhr hatte er ein Date mit Greg. Immer um die Zeit versuchten sie ein bisschen zu skypen. Alex hatte ein Feuer im Kamin gemacht, heiß geduscht und lag nun halb nackt auf dem Sofa. Der Abend war kühl, aber der Kamin heizte den Raum schnell mollig warm auf. Alex wusste, dass Greg Mühe haben würde, eine ruhige Ecke zu finden, um ungestört reden zu können. Sein Geliebter fehlte ihm. Sein Körper sehnte sich nach Gregs Wärme und nach ihrem Sex.

 

Alex versuchte vergeblich Greg zu erreichen und schickte ihm schließlich eine kurze Nachricht. Dann surfte er im Netz, um eine neue Arbeit zu finden. Wenn es auch nicht sehr überraschend für ihn gewesen war, dass Hank Springfield ihn über den Winter nicht weiter beschäftigen konnte, war es doch frustrierend. Alex wusste, dass es vielen so erging. Etliche Männer, die er über den Sommer im Hafen von Valdez kennengelernt hatte, brauchten über das Jahr zwei oder drei Jobs, um überleben zu können. Viele arbeiteten in der Ski-Saison an den Liften oder in den Hotels. Manche gingen in andere Städte, in irgendwelche Fabriken oder fuhren Truck oder zur See. Männer, die manches konnten, aber oft keine richtige Ausbildung hatten und deren sozialer Status immer schlecht bleiben würde. Das war auf keinen Fall die Zukunft, die Alex sich für sich selbst wünschte. Er hätte gern mit Greg darüber geredet, aber das würde warten müssen.
Kurz bevor Alex ins Bett gehen wollte, kam eine Antwort auf seine Nachricht von Gregory:
>>Hallo, mein Geliebter! Habe leider keine Zeit. Wir flicken schon seit Stunden an einem defekten Abzweiger. Ich stecke bis zu den Knien im Schlamm. Ich liebe Dich! <<

 

Alex antwortete ihm:>>Armer Ingenieur! Pass auf Dich auf! Ich liebe Dich auch! Bis morgen!<<

 

Er klappte den Laptop zu und ging frustriert ins Bett. Wieder mal ein einsames Wochenende. Alex sehnte sich nach dem Stadtleben. Nach unzähligen Möglichkeiten, die Zeit zu verbringen, egal was man dann letztendlich damit machte. Es waren die möglichen Alternativen, die zählten. Im Einschlafen nahm er sich vor, am nächsten Tag in das Studio von Peggy Duncan zu fahren. Er träumte von schwitzenden, gut gebauten, braun gebrannten Männerkörpern und wachte im Morgengrauen mit einer schmerzhaften Erektion auf.
Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, auf keinen Fall zu jammern oder zu klagen, aber heute Abend würde er Greg fragen, wann er denn endlich einmal zurück nach Valdez kommen konnte. Sein Freund fehlte ihm unsagbar. Ihre Gespräche, ihr gemeinsamer Sport, ihre Abende und ganz besonders die Nächte!

 

Gregory hatte in der Nacht, nachdem er endlich mit der Reparatur fertig war, eine Mail an Alex geschrieben. Alex fand sie beim Frühstück.
<<Hey, guten Morgen, mein Liebling! Ich weiß, dass Du jetzt gerade Tee trinkst und ich hoffe, dass Du gut geschlafen hast! Ich bin mit der ätzenden Reparatur fertig und denke an Dich. Es ist schon spät. Du fehlst mir so sehr Alex! Leider werde ich noch weitere zwei Wochen hierbleiben müssen. Ich wollte es Dir gestern Abend sagen. Es tut mir so leid! Ich weiß, dass Du dich allein fühlst und dass das schwer für Dich ist. Ich werde es wiedergutmachen! Bald! Ich liebe Dich! Greg<<


 

 

 Freunde?

 

 

 

Der Regen hörte den ganzen Vormittag nicht auf. Die Tropfen waren eiskalt und es schüttete unaufhörlich.
Alexej musste ein wenig suchen, bis er den Denali Drive fand. Ein kleines Industriegebiet mit einigen Maschinen- und Autohändlern, alten und neuen Werkstätten und kleinen Fabriken. Die ehemalige Fischfabrik war leicht zu erkennen. Ein riesiger stilisierter Lachs aus rostigem Eisen zierte noch immer den Dachgiebel des großen roten Backsteinbaus aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Über dem Tor prangte ein knallbuntes, neues Eingangsschild: ‚Valdez Beauty And Muscle Club‘
Alex mochte keine bunt gekleideten, schnatternden Frauen beim Sport, aber er sah auch ein, dass es hier in Valdez nicht sehr viele Alternativen gab, um Kraftsport auszuüben. Er hoffte darauf, dass die Damenwelt eher die angebotenen Kurse besuchen würden und die Gewichte den Männern blieben.
So schlicht und nüchtern die alte Fischfabrik von außen war, so bunt und exotisch dekoriert war sie von innen. Warme Luft und dezente Musik begrüßten Alex, als er eintrat. Die Architektur des Gebäudes war auch innen nur wenig verändert worden. Zur Linken befand sich in früheren Zeiten wohl einmal eine verglaste Pförtnerloge. Diese diente jetzt als Anmeldung für das Studio. Im ehemaligen Büro hatte Peggy Duncan einen kleinen Friseur- und Beauty-Salon untergebracht. Die Umkleideräume und Duschen befanden sich immer noch dort, wo sich auch die Arbeiter der Fabrik umgezogen hatten, und die riesige Produktionshalle hatten schon die Vorbesitzer in zwei Säle aufgeteilt. Einen für Gruppenkurse und einen mit Fitnessgeräten und Gewichten. Die großen, durch weiß gestrichene, eiserne Sprossen unterteilten Industriefenster nach Süden ließen genug Licht in die Räume. Die gegenüberliegende Wand war komplett verspiegelt, was den langgezogenen Räumen optisch mehr Tiefe gab. Der graue Nopflex Fabrikboden aus PVC war im Gymnastiksaal gegen helles Parkett ausgetauscht worden. Der Fitnessbereich sah noch genau so aus, wie ihn einige der ehemaligen Arbeiter, kurz nach der Schließung der Fabrik, vor Jahren eingerichtet hatten. Die Geräte stammten offensichtlich auch noch aus der Zeit. Und die langen Lampen hatten sicherlich auch schon über der Packstraße für frischen Fisch geleuchtet.
An der Anmeldung sah Alex eine große Hinweistafel, auf der alle Angebote des Studios aufgeführt waren. Danach gab es auch eine Sauna, ein Solarium und einen Jacuzzi. Die Wände im Anmeldebereich strahlten in allen Rot-Gelb und Orangetönen, die aus Farbtöpfen zu bekommen waren und der Boden war weich und angenehm mit Kunstrasen aus Filz belegt, der die Schritte dämpfte und die künstlichen Palmen und exotischen Blumen in großen Bodenvasen in Szene setzte. Alex grinste bei dem Gedanken, dass die Menschen in Alaska sich ganz offensichtlich genau so sehr nach bunten Farben und ein wenig Exotik sehnten wie die Menschen in seiner Heimat Sibirien. Dort war es eher das nahe Asien, hier die Inselwelt der Florida-Keys oder die Karibik, die die Dekorationen inspirierte.

 

Ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit indianischen Gesichtszügen und pechschwarzen Haaren riss Alex aus seinen Gedanken. „Hi! Ich bin Kelly. Womit kann ich helfen?“
Sie hatte das perfekte, schneeweiße Lächeln, das wohl nur amerikanische Zahnärzte erschaffen konnten. „Hallo, Kelly. Ich bin Alex. Ich würde mir gern das Studio ansehen. Wenn das möglich ist?“
„Natürlich! Sehr gern! Du kannst dir alles ansehen! Möchtest du auch an unseren Kursen teilnehmen?“
Alex grinste breit. „Das weniger. Ich möchte nur Krafttraining machen.“
Kelly ließ einen anerkennenden Blick über seinen Body gleiten und flötete: „Das glaub ich dir sofort, dass du dich mit Gewichten auskennst! Wo hast du vorher trainiert? Im College?“
„Bei mir zu Hause. Ich bin neu in Valdez.“
Kelly gab ihm eine Infobroschüre und erklärte: „Du kannst heute alles ausprobieren und ich zeige dir das ganze Studio. Wenn du einen Vertrag machen willst, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir bieten individuelle Lösungen an. Das unterscheidet uns von der Konkurrenz.“
Alex blätterte kurz durch die Informationen und fragte dann: „Was meinst du mit individuell?“ Kelly war stolz auf das Konzept ihrer Mutter und legte es Alex ausführlich dar:
„Also, das ist so: Wir machen ganz normale Verträge mit monatlicher Beitragszahlung, so wie alle anderen auch. Aber wir haben auch ein einfaches Punktesystem für Sportler, die auf Montage arbeiten oder Wochen oder Monate auf See oder sonst wo im Einsatz sind. Die Punkte werden als Kontingent gekauft und können dann abtrainiert werden, je nachdem, wie man Zeit und Lust hat. Frauen kommen oft lieber im Winter. Männer, die auswärts arbeiten, kommen her, wenn sie in der Stadt sind. Für Krafttraining sind weniger Punkte fällig als für die Kurse, weil man da ja auch mehr Anleitung bekommt. Sauna, Sonne und Jacuzzi sind immer dabei. Sportgetränke auch. Eiweiß-Shakes kosten extra. Zum Testen kann man ein Punktekontingent kaufen und sich später für einen Vertrag entscheiden. Ganz nach Wunsch.“
Alex lächelte sie an und nickte. „Klingt fair.“
Kelly ging voran und zeigte Alex das Studio. Er sah, dass es längst nicht so perfekt und durchgestylt war wie die Konkurrenz, aber die Atmosphäre in der alten Fabrik gefiel ihm. Die Vorstellung, dass hier jahrzehntelang Männer hart gearbeitet hatten, ließ ihn über die bunten Dekorationen hinwegsehen. Die Halle mit den Fitnessgeräten war pur und ohne Schnörkel. Einige Männer trainierten und das vertraute, regelmäßige ‚Klonk‘, wenn Eisen auf Eisen trifft, gab Alex ein gutes Gefühl.
„Ok, jetzt hast du alles gesehen. Wenn du noch Fragen hast, helfe ich dir gerne. Oder du wendest dich an Ronny, unseren Trainer.“
Kelly schaute Alex offen ins Gesicht. Sie schien noch eine Frage zu haben, sagte aber nichts weiter. „Danke, ich denke ich werde schon klarkommen.“ „Gut, dann wünsche ich dir viel Spaß!“

 

Der Himmel war grau und der Regen platschte an die großen Fenster. Alex genoss es, seinen Körper zu spüren und probierte ein Gerät nach dem anderen aus. Im Prinzip war der Unterschied zu Popov minimal. Es tat so gut, etwas Vertrautes zu tun. Er konzentrierte sich und achtete nicht auf die anderen Sportler. Er kannte sowieso nur wenige Menschen in Valdez. Umso unerwarteter traf ihn der aggressive Ruf von hinten: „Ach du heilige Scheiße! Dürfen die dreckigen, schwulen Russen jetzt auch schon hier trainieren!?“
Alex streckte sich langsam zu voller Größe und drehte sich um. Ein übler Geruch nach altem Fisch stand wie eine Gaswolke zwischen ihm und Cole. Ein Hilfsarbeiter auf einem der wenigen Fischtrawler, die es im Hafen von Valdez noch gab. Einer, der alle und jeden hasste: die Schwarzen, die Latinos, die Iren, die Deutschen sowieso und besonders die Schwulen! Wäre er allein gewesen, hätte Alex ihm eine passende Antwort gegeben, aber er war nicht allein. Zwei seiner Freunde, ebenso grobschlächtig und übel riechend, standen neben ihm. Alex wollte sich auf keine Diskussion einlassen und einfach weggehen. So einfach wollten sich die drei den Spaß aber nicht verderben lassen. „Hey Süsser! Wie wär das: du bläst uns allen einen und dafür besorgen wir es dir mal so richtig gründlich, bis du nach Mütterchen Russland weinst!?“ Alexej war blitzschnell in Verteidigungshaltung mit erhobenen Fäusten!
„Cole! Du Sau! Was fällt dir ein, unsere Kunden zu beleidigen!“
„Oh! Der Trainer macht sich wichtig! Nur weil die alte Lesbe dich auf der Couch schlafen lässt, brauchst du dich hier nicht gleich so aufzuspielen!“
„Wen nennst du alt!?“
Alex hatte so eine tragende Stimme bei einer Frau noch nie gehört. Peggy Duncan war sehr groß, sehr blond und auch das pinkfarbene Top mit Glitzerschriftzug verdeckte nichts von ihrer athletischen Amazonen Gestalt.
„Ich hab dich was gefragt! Cole!“
Der große, plumpe Mann sackte in sich zusammen wie ein Luftballon. „Es ist nichts, M’am. Gar nichts.“
„Raus! Endgültig! Mitgliedskarte abgeben!“
„Sarge! Bitte!“ Sie schnaubte: „Geh mir aus den Augen!“ Cole beeilte sich den Raum zu verlassen. Seine Freunde fingen eine Diskussion mit Peggy an:
„Er ist nun mal ein grober Klotz, Sergeant. Er meint es doch nicht so!“
„Doch, er meint es so! Und ich hab endgültig die Nase voll davon. Im Übrigen reicht Mrs. Duncan!“
Die beiden schlichen ihrem Freund hinterher und Peggy Duncan wendete sich Alex zu.
„Hi, es tut mir sehr leid! Bitte nimm Cole und seine Kumpane nicht so ernst! Du bist sehr herzlich willkommen bei uns!“
Ihr Händedruck war fest und warm und ihre eisblauen Augen erinnerten Alex ein wenig an Gregs Augen. Der Trainer streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen. „Ronald O’Melly.“
Alex hatte noch nie in seinem Leben grüne Augen gesehen und konnte seinen Blick fast nicht davon loseisen. Augen so grün wie ein tiefer Bergsee, oder frisches Moos im Frühling. Leuchtend und faszinierend. „Hi, Alex Urbano.“
Ronald war irritiert und sah abrupt weg. „Komm, ich lade dich auf einen Shake ein. Peg wird sicher noch ein Wörtchen mit den drei Herren wechseln wollen.“ Peggy nickte. „Das haben wir gleich! Mixt du mir einen Vanille-Shake? Ich komme sofort nach.“ Ronald deutete Alex mit einem kurzen Kopfnicken den Weg an und antwortete seiner Chefin: „Vanille-Shake! Sehr gern, M’am!“
Seine grünen Augen klebten an ihrem Hintern, aber Alex starrte nur auf seine feuerroten, kurzen Haare und den gut trainierten Body.

 

Als Alex später beim Abendessen saß, dachte er über seine neuen Bekannten nach: Über Peggy Duncan, die noch vor ein paar Monaten Drill Sergeant bei der Army gewesen war. Ronald O’Melly, der sie seit Jahren aus der Ferne anhimmelte und dankbar für den Job im Studio war, um die Zeit bis zu seiner Ausbildung zum Alaska State Trooper zu überbrücken. Alex hatte nicht ganz verstanden, woher sich die beiden genau kannten, aber offensichtlich war Ronald als Soldat in Afghanistan gewesen und war dort auch verwundet worden. Nun wollte er zur Polizei von Alaska. Seine interessanten roten Haare und die wunderschönen grünen Augen hatte er von seinen irischen Vorfahren geerbt.
Kelly sah ihrer Mutter überhaupt nicht ähnlich und Alex hatte erfahren, dass ihr Vater ein Native American war. Peggy hatte ihn nicht geheiratet und ihre Tochter allein großgezogen. Alex hatte Fragen zu seiner eigenen Herkunft beantwortet und auch von seinem früheren Beruf erzählt und von seiner Suche nach Arbeit für den kommenden Winter. Ronald mochte Alex ganz offensichtlich. Sie waren auf einer Wellenlänge und es war ein äußerst angenehmes Gespräch. Deshalb dauerte es nicht lange, bis Ron auch die eine Frage stellte, die Alex immer noch schwitzen ließ: „Wie kommt das Arschloch Cole darauf, dich schwul zu schimpfen?“
Alex hatte auf die Tischplatte gestarrt und nach seinem Selbstbewusstsein gesucht. Ron holte Luft, um sich für die indiskrete Frage zu entschuldigen, als Alex ihm in die Augen sah und leise sagte: „Ich lebe mit meinem Freund zusammen. Dafür hätten sie mich in Russland vielleicht eingesperrt. Ich bin froh hier zu sein.“
Er holte tief Luft. „Oder ist das jetzt ein Problem?“
Ronald schoss die Röte in die Wangen. Auch er war nicht ganz frei von Vorurteilen, aber er antwortete: „Quatsch. Kein Problem, hier.“

 

Ronald war ein schöner Mann. Alex dachte an seinen schönen Mann, der so weit weg in Prudhoe Bay an irgendwelchen Anlagen arbeitete und wieder einmal nicht zu erreichen war. Heute Abend würde er keine sehnsüchtige Mail schreiben. Er würde ihm ein unanständiges, sehnsüchtiges Selfie schicken, ohne weiteren Kommentar. Greg würde ihn auch so verstehen.


 

 

 Schlamm und Schnee

 

 

 

„Mr. Burton!“ Greg rührte sich nicht. Der Vorarbeiter rüttelte ihn noch mal.
„Boss! Mr. Burton!“ Gregory Burton war im Pausenraum der Kopf auf den Tisch gefallen und er schlief tief und fest. Es dauerte einige Minuten bis Derek Mulder ihn wach bekam. „Wir können ins Bett gehen, Sir! Das Ventil scheint jetzt dicht zu sein. Wir brauchen heute Nacht nicht mehr da raus.“ Greg streckte sich. „Danke, Derek! Auch fürs Wecken.“„Kein Ding, Boss. Sie sind einfach schon zu lange hier.“ „Wahrscheinlich hast du recht.“
Gregory schlich in sein Quartier. Alle Mitglieder seines Teams schlurften schweigend in ihre Betten. Jeder einzelne Knochen in seinem Körper schmerzte und die Schnitte und Schrunden an seinen Händen wollten gar nicht mehr heilen. Glücklicherweise hatte er ein Zimmer für sich allein. Es war schon lästig genug, die sanitären Einrichtungen teilen zu müssen.
Das Zimmer war winzig, aber er brauchte immerhin keinem anderen Mann beim Schnarchen zuzuhören. Obwohl Greg nichts und niemanden mehr hörte, wenn er einmal schlief.
Diese letzten Wochen in Schlamm und Schnee waren die Hölle auf Erden für Gregory Burton. Er konnte kaum noch zwischen Tag und Nacht unterscheiden und lebte wie eine Maschine nur von Einsatz zu Einsatz draußen in der unbarmherzigen Natur Nord-Alaskas. Böse Mächte schienen sich verbündet zu haben, denn immer wenn es schien, dass das Öl endlich ohne Probleme fließen konnte, kam die nächste Hiobsbotschaft von gebrochenen Bolzen, verklemmten Ventilen, undichten Verbindungen oder leckgeschlagenen Rohren. Alles in riesigen Dimensionen, draußen in der Dunkelheit, in Eiseskälte und tiefem Schlamm oder seit ein paar Tagen in schneidendem Schneegestöber. Dazwischen kämpfte er um jede Stunde Schlaf, derer er habhaft werden konnte und sei es mit dem Kopf auf dem Tisch im Pausenraum, während sie auf den nächsten Alarm warteten.
Jetzt schälte er sich aus Ölzeug und Thermo-Overall, der warmen Unterwäsche und den feuchtkalten Socken. Am liebsten hätte er auf die Dusche verzichtet und wäre sofort ins Bett gekrochen, aber er war so kalt und so unglaublich schmutzig, dass das unmöglich war. Das heiße Wasser machte alles ein wenig besser und während Greg den Wasserstrahl auf seinen Rücken prasseln ließ, dachte er über Dereks Worte nach. Es stimmte. Er war einfach schon zu lange hier. Die Arbeiter wurden gewöhnlich nach einer oder zwei Wochen abgelöst, aber für das leitende Personal galten andere Regeln. Greg hatte seine Grenzen des physisch Machbaren längst erreicht und fühlte sich wie auf Autopilot. Die Müdigkeit machte klares Denken für sein Privatleben schwierig. Er brauchte jedes kleinste bisschen Energie, um seine Aufgaben jetzt und hier erfüllen zu können.
Endlich im Bett, schaute er vor dem Einschlafen auf sein Handy. Diese Minuten des Tages gehörten ihm allein, nur diese. Die Mails, die Alex ihm schickte, waren der einzige Lichtblick in dieser eintönigen, zermürbenden, eisigen Hölle. Manchmal schafften sie es, wenigstens ein paar Minuten lang zu skypen. Es tat Greg so gut, Alex zu sehen, seine Stimme zu hören.
Die Gedanken an seinen schönen, liebenswerten, großartigen Freund halfen ihm immer wieder, auch noch den nächsten Tag zu überstehen. Heute hatte Alex nichts geschrieben, nur ein Bild geschickt. Es dauerte eine Weile, bis die Datei geladen war. Greg starrte auf das Foto und grinste breit, als er erkennen konnte, was das war.
Alex half sich selbst, mit seiner Sehnsucht. Das Bild zeigte nur seine Faust um seinen Schwanz, der groß, und geil, extrem gut getroffen war! Kleine Tropfen perlten aus seiner Spitze und Greg japste bei dem Gedanken, wie gut sich dieser Schwanz anfühlte. Er stöhnte laut: „Oh, Mann, Baby! Du fehlst mir auch!“ Dieses Bild war so scharf und Alex fehlte ihm so sehr, dass er sich fast wie ein Kind in den Schlaf geweint hätte, aber nur fast!
„Morgen! Morgen, Darling, werde ich regeln, dass ich nach Hause komme!“

 

***

 

„Ist ja gut, Greg! Reg dich nicht auf! Ich werde eine Lösung finden!“
„Das erzählst du mir jetzt schon seit Wochen! Schick mir eine Ablösung oder beweg selbst deinen Arsch hierher! Ich bin alle, Martin! Ich kann nicht mehr! Morgen steige ich in den Flieger! Das ist mein letztes Wort!“
Gregory pumpte vor Zorn und auch vor Verzweiflung. Er war am Ende seiner Kräfte und Martin Brooks, sein Chef, wollte ihn zum x-ten Mal vertrösten und überreden, doch noch ein paar Tage länger in Prudhoe zu bleiben. Derek Mulder, der Vorarbeiter, saß Greg gegenüber und wartete geduldig, bis er das Gespräch beendete. „Im Moment läuft alles. Wenn Martin wirklich niemanden schicken kann, kommen wir auch allein klar. Jedenfalls für ein paar Tage. Du brauchst ein paar Nächte richtigen Schlaf, Boss. Von mir aus flieg nach Hause und komm in einer Woche zurück.“ „Danke, Derek! Ich werde das so machen. Martin wird sauer sein, aber ich hab die Nase echt voll. Wann fliegt die Maschine?“
Derek blätterte in einem Kalender. „Morgen ist Donnerstag. Sie kommt um zehn an und fliegt um eins zurück.“ Gregory entspannte sich sichtlich.
„Das ist gut. Ich werde Ordnung in meine Berichte bringen und morgen Vormittag gehen wir die wichtigsten Sachen noch mal zusammen durch. Und um eins sitze ich in der Boeing und bin weg!“ Was er nicht laut sagte, war: Und um vier bin ich zu Hause, mit Alex im Bett und lass mich von ihm nageln, bis die Erde aufhört sich zu drehen!
Um ein Haar wäre es noch anders gekommen! Greg schaffte es nur ganz knapp, das Flugfeld zu erreichen. Er hatte weder Zeit sich zu duschen, noch sich zu rasieren oder umzuziehen, weil er doch noch mal raus an die Pumpstation musste. Aber er war nicht der Einzige.
Mehrere Arbeiter saßen im Overall, bärtig und abgehetzt in der Maschine. Das tat der Stimmung allerdings keinen Abbruch! Alle waren voller Vorfreude auf zu Hause und als die Stewardess das erste Bier seit Wochen servierte, war das Leben schon wieder ein wenig lebenswerter. Prudhoe Bay ist absolut alkoholfrei! Kein Bier und kein Bourbon am Ende des Dalton Highways für die schwer arbeitenden Männer der Öl Company. Erst auf dem Weg nach Hause dürfen sie es sich wieder schmecken lassen.

 

***

 

Alex zählte die Minuten! Erst in einer Stunde würde Gregs Maschine in Valdez landen. Alex hatte sich die ganze Woche freigenommen. Er wollte keine Minute ihrer kostbaren gemeinsamen Zeit verschenken. Greg hatte ihm eine kurze Nachricht geschrieben, dass die Maschine pünktlich landen würde. Alex kannte den Weg zum Flugfeld in Valdez inzwischen im Schlaf. Die Flugschule, die er wöchentlich besuchte, befand sich auch dort.
Jetzt trat er ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und versuchte am Himmel die Boeing auszumachen, die ihm seinen Geliebten zurückbringen würde.
Heute war Donnerstag. Am Sonntag waren sie mit Emily und Harold zum Mittagessen verabredet und bis dahin würden sie das Haus nicht verlassen müssen …
Der Kühlschrank war voll und Alex hatte sich schließlich doch noch von Peggy Duncan die Haare schneiden lassen. Er hatte in den letzten Tagen hart trainiert und Sauna und Solarium hatten seine Haut geküsst. Er war mehr als bereit für die Liebe und konnte es kaum erwarten, Greg endlich wieder zu haben!

 

Peggy hatte seine Unruhe gespürt und ihn geschickt ein wenig ausgefragt, während sie seine inzwischen wilden schwarzen Haare in eine topmodische Frisur verwandelte, die einem Modell alle Ehre gemacht hätte. Alex machte keine Geheimnisse aus seiner Beziehung zu Gregory Burton und Peggy Duncan erzählte ihm auch einen Teil ihrer eigenen Geschichte.
Peggy hatte immer schon von einem eigenen Salon geträumt. Aber sie war schon als Teenager auffällig groß und kräftig, mit einer lauten durchsetzungsstarken Stimme. Zu groß, zu kräftig und zu laut.
Die typischen Frauentätigkeiten wie Haare schneiden oder Kosmetikbehandlungen trauten ihr weder Eltern noch Lehrer oder Klassenkameraden zu. Der Traum vom Salon wurde zunächst begraben und es brauchte nur ein einziges Gespräch mit der Anwerberin der Army bei einer Schulveranstaltung, um Peggy davon zu überzeugen, dass sie mit ihrer Statur und Größe bei der Armee ihren Platz finden würde. So war es dann auch für etliche Jahre. Sie wurde ein gefürchteter Drill Sergeant.
Als Kellys Vater in ihr Leben trat, war er der erste Mann, der groß genug und willensstark genug war, um ihr wirklich das Wasser reichen zu können. Sie waren für Monate ein super Team und er war ihre große Liebe. Dann war Peggy schwanger und er verschwand ohne jeden Kommentar und spurlos aus ihrem Leben.
Sie hat Kelly mit Hilfe ihrer Eltern allein großgezogen und sich nie mehr näher auf einen Mann eingelassen. Kelly war ein wunderschönes Abbild ihres Vaters und Peggy hatte ihn nie vergessen, aber nie mehr wiedergesehen. Nicht nur sie, sondern besonders auch die Tochter hatte darunter gelitten. Kelly versuchte mit allen Mitteln, ihren Vater zu finden, um ihn endlich kennenzulernen. Bis jetzt jedoch ohne Erfolg.
Alex hatte ebenfalls die Hautfarbe und die Gesichtszüge, die auf eine indianische Herkunft hindeuteten, aber er erklärte ihr schnell, dass seine Gene von der anderen Seite der Beringsee stammten. Und als die langen Haare abgeschnitten waren, kam ein ganz anderer Mann zum Vorschein. Peggy lächelte zufrieden und fragte: „Ist es gut so? Gefällt es dir?“
Er griff sich in den rasierten Nacken und antwortete: „Ja, sieht toll aus! Viel besser als früher!“
„Wieso? Wie hattest du die Haare sonst?“
Alexej freute sich auf Greg und er war in übermütiger Stimmung, also zeigte er Peggy ein Foto von sich und Greg und Sascha und Anatol. Boris hatte es gemacht, als sie alle Gregs Geburtstag gefeiert haben. Alex war in Uniform. Peggy fragte neugierig und ein wenig misstrauisch: „Du warst Soldat in Russland?“
„Polizist. Bei der Stadtpolizei in Irkutsk, Sibirien.“
„Dienstgrad?“ „Sergeant.“
Peggy schaute erstaunt. „Das ist ja interessant! Erzählst du mir mehr von dir und von Russland?“ Alex wunderte sich über ihr Interesse aber er war höflich.
„Sicher, wenn es dich interessiert. Aber jetzt muss ich gehen.“ „Okay, wir sehen uns!“
„Sicher!“ Er dachte länger über ihr Gespräch nach und wunderte sich über ihre Fragen, aber jetzt kam endlich die Boeing aus Prudhoe Bay in Sichtweite!


 Willkommen zuhause!

 

 

 

„Oh, Mann! Du siehst toll aus!“
Greg befreite sich aus Alexejs Umarmung, um ihn besser ansehen zu können.
Alex hätte ihn am liebsten gar nicht mehr losgelassen, aber sie wollten schnellstens nach Hause. Greg selbst sah aus wie Wasser, Milch und Spucke. Blass, schmal im Gesicht und seit mindestens zwei Wochen unrasiert. Zwischen seine blonden Haare hatte sich ein wenig Silber gemischt und um die Augen hatte er dunkle Ringe. Der Arbeitsoverall, den er trug, verstärkte noch das Gefühl von: ‚Entkommen aus dem Gulag‘, das Alex sofort befiel, als er seinen Freund die Gangway herunterkommen sah. Er war so glücklich Greg wiederzuhaben, dass es ihm gleichgültig war, ob sich irgendwer an der innigen Umarmung störte, mit der er seinen Geliebten empfing. „Du siehst so aus, als hätten sie dich ewig nicht richtig schlafen lassen!“
Greg protestierte nicht, als Alex ungefragt seine Tasche nahm und ging neben ihm her zum Parkplatz. „Ich könnte bis nächste Woche durchschlafen! Aber nicht sofort …“
Sie fuhren los und das Lächeln von Alexej sprengte fast sein Gesicht.
„Das Foto hat dir also gefallen?!“ „Ja, klar.“
Alexej konnte sich kaum auf die Straße konzentrieren, weil Gregs Hand in seinem Schoß spielte und seine Jeans sofort viel zu eng war. Als Greg den Reißverschluss öffnen wollte, schob Alex seine Hand weg. „Hey, nur noch zwei Minuten! Dann kannst du alles haben!“
„Alles, was ich will?“„Alles! Was willst du?“
Greg holte tief Luft. Die Lust auf Sex mit Alex kribbelte tief in seinem Bauch.
„Kannst du mich ficken, bis die Welt aufhört sich zu drehen?“
Alex grinste breit. „Bis du Engel singen hörst!“
Greg atmete hörbar ein. „Ich bin so geil auf dich! Du kannst dir nicht vorstellen, wie!“
Alex bog in ihre Einfahrt ein und stellte den Motor ab. Die Tasche blieb, wo sie war. Die Haustür fiel hinter ihnen ins Schloss und ohne ein weiteres Wort zu reden, zogen sie sich gegenseitig aus, bis zum Badezimmer. Küssten sich heftig, zerrten an Hosen, Hemden und Unterwäsche, stolperten über Schuhe und Strümpfe. Dann waren sie endlich beide nackt und unter dem warmen Strahl der Dusche. Für ein langes Bad war später noch Zeit … Oder morgen …
Alex sah den zerschundenen Körper seines Freundes mit Entsetzen. Die Unterarme übersät mit Blutergüssen in verschiedenen Stadien der Heilung, die Hände wund und an vielen Stellen zerschrammt. Ein faustgroßer, frischer blauer Fleck prangte auf dem linken Oberschenkel und der linke Daumennagel war blutunterlaufen.
Greg hielt seinen Kopf unter das heiße Wasser und genoss Alexejs Hände auf seinem Körper. So sanft wie möglich verteilte er den Seifenschaum und versuchte alle Stellen zu vermeiden, die offensichtlich mit schweren Werkzeugen oder Maschinenteilen kollidiert waren. In diesem Moment sah er mit eigenen Augen klar und deutlich, wie hart und gefährlich Gregs Arbeit war. Den störten die blauen Flecken im Moment gar nicht. Er wollte so schnell wie möglich ins Bett mit Alex und drängte ihm seine Erektion entgegen. Alexejs Faust schloss sich für einen Moment um Gregs harten Schwanz und ein lustvoller Laut kam tief aus Gregs Kehle, als die andere Hand seifig und glitschig zwischen seine Hinterbacken fuhr.
„Ahrr! Das ist so gut!“
Alex drehte das Wasser aus und griff nach zwei Handtüchern. Gregory bemerkte nicht, dass das ganze Haus blitzblank und das Bett frisch bezogen war.
Sein Blick war auf Alexejs nackten Körper fixiert und er gierte danach, diesen Körper auf und in sich zu spüren. Jetzt und sofort! Alex kannte diesen gierigen, unersättlichen Blick. Er würde nichts lieber tun, als Greg alles zu geben, was er haben wollte, und alles, was er selbst hatte! Bis zum letzten Tropfen!
Greg ließ sich auf den Bauch in ihr großes, bequemes Bett fallen. Alex drehte ihn um.
„Mach die Beine breit!“
Sein Gesicht dabei zu sehen war der Zuckerguss auf diesem Kuchen! Nie waren sie sich so nah wie beim Sex. Niemals sonst waren sie so sehr sie selbst, so frei und offen, ohne Netz und doppelten Boden, ehrlich und schutzlos. Unbedingtes Vertrauen und grenzenlose Lust.
„Ich brauch dich so sehr, Alex!“
„Alles, was du willst!“
Alexej küsste und leckte, knabberte und schmeckte Gregs Körper von oben bis unten. Markierte seinen Geliebten mit Küssen und kleinen Bissen, die Greg ungeduldig nach mehr knurren ließen.
Das Gel war kalt, aber nur kurz. Greg war eng und Alex war groß. Ohne ein bisschen Vorbereitung würde es nicht so werden, wie es sein sollte. Er schaffte es, sich mit einem Arm abzustützen und mit der anderen Hand gleichzeitig Gregs Hoden zu massieren und sachte seinen Anus zu dehnen. Gregs Schwanz war zum Bersten prall. Seine Hoden waren schwer und groß. Alex liebte es, die Lust in seinem Gesicht zu sehen und er genoss es unsagbar, dass er es war, der diese Lust auslöste. Greg drängte sich seiner Hand entgegen.
„Komm her! Bitte! Komm endlich her zu mir!“
Alex legte sich schwer auf ihn und eroberte Gregs Mund mit seiner Zunge. Er brauchte das alles so dringend: Riechen, Schmecken, Fühlen und Hören. Er sog jedes Wort, jedes Stöhnen, jeden tiefen Atemzug in sich auf und küsste Gregory lange und besitzergreifend. Sie rieben sich aneinander und ihre Lusttropfen mischten sich wie ihr Speichel. Alex musste sich darauf besinnen, nach dem Kondom zu greifen. Liebend gern hätte er einfach mit seinen Knien Gregs Beine noch ein wenig weiter auseinandergeschoben und auf das Gummi verzichtet. Er träumte davon, sich ohne Hindernis in den Körper seines Geliebten zu verströmen.
Greg half ihm und machte ihm Platz, indem er seine Hoden hochhob und den Blick auf seinen rosigen, verführerischen Anus freigab. Alex entkam ein tiefer kehliger Laut, als er in die samtig, heiße Enge eindrang. Sie hatten es beide so sehr vermisst und konnten die Erlösung kaum erwarten, jedoch war der Weg dorthin immer genauso wichtig wie das Ziel.
Greg liebte die Dominanz, die Alex im Bett ausstrahlen konnte. So konnte er sich einfach fallen lassen, genießen und alles nehmen, was Alex ihm so freigiebig schenkte. Die heiße Lust schoss durch seinen Körper und Alexejs warme, breite Brust beschützte und eroberte ihn gleichzeitig. Gregs lange Beine umschlossen Alexejs Hüften und Alex bewegte sich aufreizend langsam und massierte gezielt Gregs Lustzentrum, tief in seinem Körper.
„Stoß mich … richtig! Bitte …!“
Sein Flehen um Erlösung war wie Musik in Alexejs Ohren. Er würde seinen Geliebten in den Himmel schicken und sich selbst auch, aber noch nicht gleich …
So wie jetzt, Alex zwischen seinen Beinen, sein Gesicht vor Augen, zärtlich und liebevoll, war es zu sanft für Greg. Er brauchte mehr. Mehr von Alexejs Wildheit und Kraft, mehr pure und urtümliche Lust!
Ein unwilliges Knurren kam aus Gregs Kehle und Alex wusste, dass er keine Zeit mehr für ein langsames Liebesspiel hatte! Greg wollte es! Und er wollte es jetzt!
„Du willst es hart, du kriegst es! Dreh dich um!“
Hier hörte niemand ihr Stöhnen und ihre Lustschreie. Greg war immer laut, wenn er kam und Alex liebte seine ungezügelte Lust. Er wurde von den rhythmischen Kontraktionen seines Geliebten leer gepumpt und beide landeten schwer atmend und nass geschwitzt wieder auf der Erde, die sich ganz langsam weiterdrehte …
Alex lachte leise.
„Willkommen zu Hause, Malysch!“
„Ich liebe dich, Honey!“
Als Alex kurz darauf mit einem warmen, feuchten Waschlappen und einem Handtuch aus dem Bad zurückkam, schlief Gregory bereits tief und fest. Er deckte ihn zu und betrachtete sein entspanntes Gesicht. Gregory Burton war ein schöner Mann. Auch wenn man ihm jetzt die Strapazen der letzten Wochen deutlich ansah.
Alexej fragte sich, wie ihre Zukunft aussehen würde. Sollte das immer so weitergehen. Greg in der Weite Alaskas unterwegs und er selbst allein hier? Andererseits würde es nicht besser werden, wenn er als Pilot auch ständig unterwegs wäre. Dieses Land war groß und das Wetter war unberechenbar. Nicht gerade rosige Aussichten für eine Beziehung.
Sie würden irgendwann darüber reden müssen.

 

***Ende der Leseprobe***

 

 

 

Beide Teile der Geschichte um Alexej und Gregory finden Sie bei Amazon. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen und kann auch für sich allein stehen, aber beide Seiten der Geschichte machen das Erlebnis komplett!

 

DRUSCHBA HEISST FREUNDSCHAFT  Gregory Burton geht zum arbeiten nach Sibirien, weil seine Firma aus Alaska einen guten Deal gemacht hat. Das er gerade dort den Mann trifft, mit dem er sein Leben teilen möchte, hat er nicht kommen sehen.

 

ALASKA Alexej kommt zu Greg nach Valdez, Alaska. Er hat seine Heimat, seine Arbeit als Polizist und seine Freunde zurückgelassen und sich für den Liebsten entschieden. Der aber stellt Alexej auf harte Proben und es ist völlig offen, ob sie es schaffen werden, dass Leben zu führen, von dem sie ja eigentlich beide träumen...

 


 

 



Leseprobe aus 'Männerliebe'

Er will unbedingt Profi werden. Es gibt ein Angebot für die zweite Bundesliga. Aber er ist nicht der Einzige auf der Liste.

 

„Vergiss es! Schwule spielen nicht in der Bundesliga, Süßer!“
„Ich bin nicht schwul! Arschloch!“    

 

 

 

Der Junge steht in einer schwarzen Nacht auf einer Brücke. Er ist verzweifelt und sieht keinen Ausweg. Aber er will nicht springen ohne sich vorher irgendjemand zu erklären. Die Nummer vom Sorgentelefon die er schon immer in seinem Telefonbuch hat, obwohl er sie noch nie brauchte, wird zum Hoffnungsschimmer in der Finsternis.

 

Ein spannendes Sportlerdrama im Fußballmilieu mit überraschenden Wendungen, einem sexy Physiotherapeuten, überragenden Mannschaftskameraden und natürlich, mit einem furiosen Finale und einem glücklichen Ende!

Für alle, die Fußball lieben, oder Fußballer ... 

 

1. Schwarze Nacht

 

 

 

Der Junge auf der Brücke, der verzweifelt auf sein Handy starrte, fiel niemandem auf. Der Tag war sonnig und heiß gewesen aber nach einem heftigen Gewitter, hatte sich die Luft deutlich abgekühlt. Es nieselte immer noch leicht. Die Nacht war stockfinster, kein Stern war zu sehen.
Die Innenstadt mit ihren Kneipen, Clubs und Diskotheken war weit weg. Niemand würde ihn hier aufhalten. Sein zerschmetterter, toter Körper würde erst irgendwann gefunden werden. Da unten, auf den stillgelegten Gleisen.
Es war ihm recht. Er wollte nicht aufgehalten werden.
Es gab sowieso kein Zurück mehr.
Alles war zu Ende.
Alles was er sich jemals erträumt hatte, war zerplatzt wie eine Seifenblase.
In einem Moment der Schwäche hatte er sich erwischen lassen. Und das ausgerechnet von Kevin, seinem größten Konkurrenten um den Platz in der  Profi Mannschaft des FC.

 

Er bekam den angewiderten Gesichtsausdruck nicht mehr aus dem Kopf. Noch schlimmer war nur gewesen, den Triumph in Kevins Gesicht wachsen zu sehen, als der kapierte, was das für ihn selbst bedeutete, was er da gesehen hatte.
Kevin hatte ein fieses Grinsen aufgesetzt, sich umgedreht und war gegangen. Er brauchte auch nichts zu sagen. Sein Sieg war komplett. Er hatte mit allen dreckigen Tricks gekämpft, die ihm zur Verfügung standen und nun war er am Ziel!

 

Der Junge war aus dem Club gerannt und war nicht eher stehen geblieben, bis er diese Brücke erreicht hatte. Jetzt starrte er auf das Display seines Telefons und suchte verzweifelt nach der einen Person, von der er sich verabschieden könnte. Irgendwie wollte er nicht springen ohne irgendjemandem zu sagen, warum. Warum es keinen anderen Weg gab. Warum alles zerbrochen war.
Noch vor ein paar Minuten, war er aufgeregt und zittrig gewesen aber jetzt analysierte er kühl die Situation und dachte an Robert Enke.
Der Freitod des Torhüters aus Hannover hatte ihn erschüttert, ihm aber auch Bewunderung abgerungen. Er hätte damals nur gern die genauen Gründe dafür gewusst. Es musste doch irgendwen geben dem er sich erklären konnte?

 

Mama? Nein, sie würde hysterisch schreien, auf ihn einreden und ihm überhaupt nicht zuhören. Wie sie ihm nie wirklich zugehört hatte. Und sie würde nichts,  aber auch gar nichts verstehen.
Papa? Niemals!
Urs in Luzern? Ja, mit dem würde er gerne reden. Der würde ein offenes Ohr haben und viel Verständnis, aber er hatte ihm schon genug wehgetan, nachdem er vor ein paar Wochen einfach ohne Abschied aus der Schweiz abgehauen war.
Die Erinnerung an den zärtlichen Schweizer ließ ihn zittern. Die Sehnsucht nach ihm, tat immer noch so weh wie ein frischer Schnitt.
Er hatte sich dagegen entschieden. Gegen Urs und gegen sich selbst. Gegen jeden Gedanken an ein anderes Leben.
Der Traum vom Profi-Fußball stand über ALLEM! Seit seiner frühesten Jugend hatte er auf so vieles verzichtet um dieses Ziel zu erreichen. Da erschien es ihm nicht einmal ungewöhnlich auch auf die Liebe mit Urs zu verzichten. Schwule spielen nicht in der Bundesliga! Zumindest keiner der offen damit ist. Er wollte sich nicht outen! Niemals!
Aber gewusst hatte er es schon lange. Die Gesellschaft von Mädchen war ihm immer unangenehm und niemand störte sich daran, dass er sich auf den Verein konzentrierte. Seinen Eltern war es nur recht, dass er seinen Sport liebte. Der Vater unterstützte seine Pläne im Fußball eine echte Karriere anzustreben mit allen Kräften. Die andere Seite der Medaille war aber, dass der Junge sich immer wieder in seine Mannschaftskameraden oder seine Trainer verliebte. Anfangs war es Bewunderung und Freundschaft aber als er mit vierzehn anfing von Sex zu träumen, wurde ihm sehr schnell klar, dass er seine Wünsche für sich behalten musste.
Er tat das, was jeder junge Fußballer macht. Er hängte seine Idole an die Wand seines Zimmers. Das war normal.
Was er fühlte wenn er die Poster ansah, die Bilder der Umarmungen beim Torjubel seiner Lieblingsmannschaft und den nackten Oberkörper von Ronaldo, das versteckte er tief in seinem Innern und redete mit niemandem darüber. Sein Vater hasste Schwule. Das hatte der Junge ihn oft genug und laut genug sagen hören. Und seine Mutter war so beschäftigt mit der kleinen Schwester, dass der Junge immer das Gefühl hatte sie zu stören, wenn er mit ihr reden wollte.

 

Dann verletzte er sich beim letzten Spiel der Saison am linken Knie.
Nicht sehr schwer. Ein kleiner Teil vom Meniskus musste entfernt werden und um kein Risiko einzugehen, schickte ihn sein Vater in eine Sportklinik nach Luzern in die Schweiz, zur Nachbehandlung.
Urs war dort Physiotherapeut. Ein Mann mit magischen Händen, nicht so grob und unsensibel wie es der Junge von der Mannschaftsbetreuung zuhause kannte. Es dauerte ein paar Behandlungen, bis der Junge auftaute, aber Urs hatte schon am ersten Tag gefühlt, dass er so war, wie er selbst. Der Junge sah den Gay-Pride Anhänger, an der Halskette der Schweizers erst nach einer Woche aber er spürte von der ersten Berührung an, die Wärme und Zuwendung die Urs durch seine Hände in seinen Körper fließen ließ.
Urs redete nicht viel bei seinen Behandlungen aber er sah das Wohlbehagen, das er erzeugte. Der Junge wäre fast vor Scham gestorben, als er bei einer Oberschenkelmassage, eine Erektion bekam und der Schweizer ihn mit einem warmen Klang in der Stimme leise fragte:
„Ist das schön für dich?“
„En…Entschuldigung…ich, ich…weiß nicht…“
Am Abend dieses Tages hatten sie ihr erstes Date. Der Junge war kein Feigling und er war genau so scharf auf Sex wie alle jungen Männer in seinem Alter. Er wollte es wissen. Er war weit weg von zuhause. Niemand kannte ihn hier und sie waren diskret. Urs machte aus seinen Vorlieben kein Geheimnis. Er war erwachsen und offen. Aber er respektierte die Ängste, die der Junge hatte. Es waren unglaublich schöne Erfahrungen und tiefe, verwirrende Gefühle die den Jungen in seinem Innersten aufwühlten.  
Dass es so unglaublich wehtun würde, diese erste Liebe hinter sich zu lassen, hatte der Junge nicht erwartet. Der Schmerz hatte bis heute nicht ganz verlassen. Jede Minute dachte er an die wenigen Tage, die sie zusammen hatten. Urs hatte ihn auch nicht vergessen. Er schrieb ihn immer noch an, obwohl er keine Antworten bekam. Es war offensichtlich auch für den Schweizer ein wenig mehr gewesen als ein kleiner Flirt. Die intensiven Gefühle kamen immer wieder hoch, so sehr der Junge auch versuchte, den Mann mit den sensiblen Händen zu vergessen.
Urs, der Bär. Dabei hatte er so gar nichts von einem Bären. Im Gegenteil. Sein Körper war schlank und grazil, seine Haare weich wie Seide und seine Hände schmal wie die eines Künstlers. Zauberhände.
Er starrte auf das Bild des lächelnden, wunderschönen Gesichtes des Schweizers mit den strahlenden blauen Augen, auf seinem Display und flüsterte zärtlich:
„Verzeih mir, mein Geliebter, bitte! Du warst das Beste in meinem Leben.“ Die Büchse der Pandora, seiner eigenen Sexualität war nicht mehr zu verschließen gewesen, nachdem sie einmal geöffnet war. Und genau das, hatte ihn in diese beschissene Lage und auf diese Brücke gebracht.

 

 

 

Daniela wusste nie vorher, was sie in den Nächten von Samstag auf Sonntag erwartete. Niemand wusste, wann die Einsamen oder Verzweifelten bei der Telefonhilfe anriefen. Nur das es oft in der Nacht war. Dann wenn der alte Tag schon lange vorbei war und der Sonnenaufgang noch weit. Dann wenn der Mensch sich allen Sorgen und Probleme ganz allein und verloren gegenübersieht.
Jeder kennt solche Nächte. An oder in Krankenbetten, an Theken oder schlaflos im eigenen Bett. In langen, endlosen Stunden voller Verzweiflung, Angst und Einsamkeit. Manchmal waren die Sorgen einfach zu beheben. Mit einem guten Wort oder einem guten Rat, einer Telefonnummer oder einer Adresse. Oft aber wurde in den anonymen Gesprächen deutlich, dass es nicht ohne weitergehende Hilfe gehen würde. Manchmal erfuhren die Frauen und Männer, die ehrenamtlich in der Zentrale der Telefonhilfe arbeiteten, was aus ihren Schützlingen geworden war. Manchmal riefen sie öfter an.
Daniela öffnete nach dem Gewitter das Fenster weit, um die frische, klare Luft in das stickige Büro zu lassen. Sie schaltete das Decken Licht aus, um die Mücken nicht anzulocken. Eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch und eine Kerze auf dem Tischchen neben der Couch warfen Schatten an die Wände.
Jemand hatte vor Jahren, spirituelle Weisheiten an die Wand gepinselt. Es war eine schöne Handschrift und es war eine bunte Mischung der verschiedensten Lebensweisheiten. Die Lakota Indianer waren genauso vertreten, wie Konfuzius, Buddha und der Dalai Lama.
Dieses Büro gehörte zu einer christlichen Organisation, deshalb waren auch Theresa von Avila und der heilige Franziskus mit dabei. Daniela mochte den Satz aus dem Sonnengesang von Franz von Assisi:
Und am Abend, wenn es dunkel wird, sollte jeglicher Mensch Gott loben für Bruder Feuer; denn ihm verdanken wir’s, dass unseren Augen die Nacht erhellt wird.
Das Licht der Kerze flackerte über die Wand. Daniela lächelte und lobte in Gedanken, Gott für den ‘Bruder‘ Feuer.
Sie war immer in der Nacht von Samstag auf Sonntag hier. Die Nacht der Woche, in der sie selbst nicht so gern allein zuhause war.

 

Seit einem Jahr kam sie an den Wochenenden hierher und hörte den Menschen zu, die Hilfe suchten.
Die Kollegen waren nett und die Schulungen die sie bekommen hatte, waren interessant und lehrreich gewesen. Jeder der eine schwere Nacht an diesem Telefon verbracht hatte, wurde von den Kollegen aufgefangen und besonders dramatische Fälle wurden im Team besprochen.
Es hatte ihr geholfen, dass sie einmal Sozialpädagogik studiert hatte. Zwar waren schon kurz nach dem Abschluss, zuerst ihre Tochter und dann ihr Sohn geboren worden und sie war für Jahre Hausfrau und Mutter gewesen, aber das einmal Gelernte kam ihr nun zugute.
Als die eigenen Kinder ihre Hilfe nicht mehr brauchten, machte Daniela sich auf die Suche nach einer Aufgabe. Sie hatte genau die Richtige gefunden.
Dieses Telefon war ursprünglich als Sorgentelefon, für Kinder und Jugendliche konzipiert worden. Allerdings klebten die Aufkleber mit der Nummer auch in vielen Diskotheken und Kneipen. So das oft auch Erwachsene anriefen. Erstaunlicherweise, oft Männer mittleren Alters, die es nie gelernt hatten über ihre Ängste oder ihre Gefühle zu sprechen und denen es offensichtlich anonym am Telefon leichter fiel, ihr Herz auszuschütten.
Daniela hatte die Kunst des Zuhörens zur Perfektion gebracht.
Heute Abend war es ruhig gewesen, beängstigend ruhig. Sie hatte eine Geburtstagskarte an ihren Sohn in Hamburg geschrieben und das letzte Kapitel eines schaurigen und sehr spannenden, schwedischen Krimis gelesen.
Nun räumte sie den Schreibtisch auf und ordnete die Listen mit den Telefonnummern und Adressen von Selbsthilfegruppen, Behörden und den verschiedensten Organisationen. Ihre Gedanken gingen auf  Wanderschaft.
Sie plante in ihrem Kopf die kommende Woche und gerade als sie sich eine Liste anlegen wollte, läutete das Telefon:
„Sorgentelefon, mein Name ist Daniela. Wie kann ich helfen?“
Ihre Stimme klang viel jünger als sie wirklich war und sie strahlte Wärme und Ruhe aus. So hatte man es Daniela mehr als nur einmal gesagt und sie bemühte sich immer um diese Ausstrahlung, um die Anrufer nicht zu verschrecken.
Trotzdem kam es häufig vor, dass Menschen die ihre Hilfe brauchten, der Mut verließ und sie es manchmal erst beim zweiten oder dritten Anruf schafften, wirklich etwas zu sagen.
Dieses Mal meldete sich jedoch sofort eine junge, männliche Stimme. Die Verbindung war nicht besonders gut. Wahrscheinlich rief der junge Mann von seinem Handy aus an.
„Hallo. Ich möchte meinen richtigen Namen nicht sagen.“
Seine Stimme war tief aber man hörte deutlich die Jugend.
„Das musst du auch nicht. Wie soll ich dich nennen? Oder soll ich lieber ‚Sie‘ sagen?“
„Du, ist ok.“
„Ist gut. Wie kann ich dir helfen?“
Daniela hörte ein paar tiefe Atemzüge:
„Weißt du, ich bin Fußballer.“
Daniela wusste nicht sehr viel über Fußball aber genug um ein klein wenig mitreden zu können, wenn das Gespräch darauf kam. Der Junge kam gleich zum Thema:
„Ich bin Fußballer aber ich bin auch schwul …“
Er stockte, schluckte und würgte hörbar an dem Wort, so als habe er diesen Satz noch niemals laut ausgesprochen. Daniela hörte zu. Sie versuchte sich sie Situation in der sich der Junge gerade befand vorzustellen.
Zuhören ist wichtiger als selbst zu reden. Fragen ist besser als etwas Falsches zu vermuten. Sie fragte vorsichtig:
„Ich vermute mal, dass da dein Problem liegt?“
„Ja, sicher! Fußballer sind niemals schwul! Oder hast du schon mal was von einem schwulen Kicker in der Bundesliga gehört?!“
Das hatte Daniela nicht.
„Willst du es mir erzählen?“
„Ich will mich nur verabschieden.“
„Was meinst du genau?!“
Panik kroch Daniela eiskalt den Rücken hoch. Ihr Nacken verspannte sich. Sie ahnte, wovon der Junge sprach. Innerlich mahnte sie sich selbst zur Ruhe. Zumindest hatte er hier angerufen bevor … Daniela wollte den Gedanken nicht zu Ende denken:
„Bist du zuhause?“
„Nein.“
„Sagst du mir wo du bist?“
„Das spielt keine Rolle.“
„Willst du darüber reden? Soll ich dir einfach nur ganz ruhig zuhören?“
Ihre Hoffnung war, dass es gut war, dass er angerufen hatte und seinen, was auch immer es war, Plan nicht einfach ausgeführt hatte:
„Du spielst in der Bundesliga?“
„Fast. Es gibt ein Angebot. Gab. Für die zweite Liga.“
Daniela hörte Schritte und flache Atemzüge. Sie vermutete, dass der Junge irgendwo draußen auf und ab, lief während sie sprachen.
Sie hörte das Adrenalin förmlich in seiner Stimme.
„Ich kann so nicht weitermachen. Kevin hat mich gesehen. Der Trainer bringt mich um! Und wenn der es nicht macht, dann erschlägt mich mein Vater! Es ist sowieso egal. Fußball ist mein Leben und alles wofür ich die ganzen Jahre gekämpft und hart trainiert habe ist jetzt sowieso kaputt. Ich mach Schluss! Ich will den ganzen Scheiß nicht mehr!“

 

 „Du?“

 

Die weiche Stimme der Frau kam ganz nah an ihn heran.
„Ja.“
„Wie alt bist du?“
Er schluckte:
„Neunzehn.“
„Schule schon fertig?“
„Abitur. Nicht so besonders gut, aber bestanden.“
„Glückwunsch.“
„Danke.“
Die Antwort war ganz automatisch gekommen. Der Junge war gut erzogen. Hatte das Abitur. Darin lagen doch so viele Möglichkeiten. Offene Wege, Chancen. Daniela war gut darin, Bilder in den Köpfen anderer zu malen, Türen und Fenster zu anderen, neuen Ebenen zu öffnen:
„Schon mal über ein Sportstudium nachgedacht, oder ein Jahr im Ausland?“
„Ja, sicher. Nach der Profikarriere aber daraus wird ja nun nichts mehr.“
„Wegen Kevin? Wer ist Kevin und was ist genau passiert?“

 

Er setzte sich auf die Bordsteinkante und sagte leise:
„Ok, hör zu. Das war so."

 

 

 

*Ende der Leseprobe*